Entropie und Information
Stanislaw Lem, allgemein eher als Science Fiction - Autor bekannt, erwähnt in einem philosophisch-kybernetischen Frühwerk in Dialogform eine naturwissenschaftliche Interpretation von Information.
"Hylas: Was ist denn an Information so Besonderes?" [Lem 1980, S.59]
Hierauf erwidert der philosophierende Philonous, Information sei etwas besonderes, weil sie "weder Materie noch Energie" sei. Scheinbar akzeptiert er nach konventioneller Philosophen-Manier nur das im menschlichen Geist Geschaffene und Nicht-Materielle als Information - hier einmal als Umkehrschluss: "... Materie läßt sich nicht vernichten, man kann sie lediglich in Energie umwandeln. Information hingegen kann man auf irreversible Weise vernichten."
Dass weder Materie noch Energie Information sein können, ist natürlich völliger Unsinn.
Es folgt als weit tragfähigere Begründung die physikalische Definition. Demnach ist Information das Gegenteil von Entropie, der Desorganisation von Materie und Energie. Wenn diese beiden unzerstörbar sind, kann meiner Meinung nach auch Information nicht zerstörbar sein!
Diese hier erwähnte Dualität Information - Entropie ist wegen ihrer Einfachheit bestechend, auch weil Information dann nicht gleichbedeutend mit komplizierten Gedankengängen wäre ...
Wenn Entropie Gradmesser der Unordnung sei, sei Information der Gradmesser der Ordnung.
Es gelte aber das physikalische Gesetz, dass die Entropie nur zunehmen könne, folglich kann Information nur abnehmen! [Lem 1980]
Von noch weitreichenderer Bedeutung, besonders im Zusammenhang mit dem Schutz von Arten und Naturlandschaften, wäre das physikalische Gesetz, dass "einmal vernichtete" Information nicht wieder neu geschaffen werden kann!
Die Antithese dieser physikalisch-kybernetischen Dualität bildet aber das Leben, das in großer Vielfalt aus einfachsten Grundkomponenten entstanden ist und gewissermaßen den Sieg der Information über die Entropie darstellt.
Das ist möglich, weil Organismen durch unzählige Rückkopplungen Informationen mit der Außenwelt austauschen und akkumulieren [Lem 1980].
Dann steht das thermodynamische Modell von einer zwangsläufig zunehmenden Entropie auf schwachen Füßen. Auch in der Relativitätstheorie bleibt wenig Platz für Entropie.
Jedenfalls kann man dieses Konzept der Information nicht auf außerphysikalische Probleme anwenden, denn eigentlich gilt es nur für isolierte chemische Reaktionen. Und sobald diesen Prozessen Energie oder Stoffe zugeführt werden, wird der Niedergang zur Entropie wieder umgekehrt.
Analog würde sich der verhängnisvolle Niedergang zur Entropie vielleicht in vollkommen abgeschlossenen Gesellschaften wie dem Ungarn Orbans vollziehen, in denen Unilateralität als Normalität gilt.
Die Lem'sche Interpretation von Information ist also nur ein kybernetisches, kein naturwissenschaftliches Modell. An seinem Ursprung stünde nach Philonous ein hyperkomplexes Gedankensystem, das sich in seine Grundbausteine auflöst.
Manche Philosophien sehen dagegen in der Einsheit den Urgrund und in der Komplexität das Grundübel.
Auch wird dem Bestandteil, also dem Zersetzungsprodukt der Entropie, im Allgemeinen ein größerer Wert zugeschrieben als der Ganzheit.
Eine weitere Form der Vereinfachung ist die Auffassung von Information (oder Intelligenz) als einer von der Natur, dem Ökosystem oder einem kybernetischem Regelkreis völlig abgetrennt existierenden Instanz, die sozusagen per Knopfdruck die absolute Kontrolle ausüben könne.
Literaturangabe:
Stanislaw Lem: Dialoge. Frankfurt/ M., 1980 (Originalausgabe 1957).
© Stephan Theodor Hahn, Bad Breisig, am 2.3.2019