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Chen Jo-hsi: Erzählungen aus der Kulturrevolution, 1976




Bei der Lektüre der zeitgenössischen Literatur - nicht nur der Belletristik - vermisse ich oft das nötige Maß an Realismus. Doppelt wertvoll sind Autoren, die ihr Leben in einem fremden Land beschreiben, wie es Chen Jo-hsi in "Die Exekution des Landrats Yin" tut.



Erzählungen aus der Kulturrevolution

Die Autorin Chen Jo-hsi hat mit einem gewissen Humor den chinesischen Alltag während der Kulturrevolution beschrieben. Doch scheint ihr dies erst nach Verlassen des Landes möglich gewesen zu sein, während hunderte Millionen anderer Chinesen verstummten.

Hier erfährt man, wie es in den alten Zeiten auch den willigsten Volksgenossen ergehen konnte. Heute haben die chinesischen Herrscher allerdings mit durchschlagender Wirkung die Methoden des Westens übernommen.


Textprobe:

"Während er so verwirrt dastand, sagte einer der Umstehenden zu ihm: «Sie scheinen die Regeln nicht zu kennen. Vor dem Besuch ausländischer Gäste wird von den guten Sachen nichts verkauft. Wir warten alle, bis die Fremden wieder abgereist sind, und dann sehen wir zu, daß wir von den Spezialitäten noch etwas abbekommen!»
«Man kann auch kaufen, ehe die ausländischen Besucher kommen», sagte jemand sarkastisch und im Ton eines Eingeweihten. «Allerdings muß man die Sachen wieder zurückbringen. Als neulich Prinz Sihanouk nach Nanking kam, hatte man sogar Truthähne von irgendwoher herbeigeschafft. Einer meiner Nachbarn hatte noch nie einen Truthahn gesehen, er ging hin und kaufte aus purer Neugierde einen. Aber damit kam er nur bis zum Hinterausgang des Marktes. Da wurde er wieder zurückgeschickt. Später hieß es, man habe den Verkauf mit fünf Truthähnen begonnen und nach zwei Tagen lebhaften Verkaufs immer noch fünf Truthähne gehabt!» "


Auch bei Windows, Linux und im Internet sind die meisten Dinge wie hier die Truthähne nur für 'ausländische Gäste' von Wert !


Das Ullstein-Taschenbuch ist mit einem lesenswerten Nachwort ausgestattet, in dem es z.B. heißt, dass "die Abkehr vom 'Sozialistischen Realismus' .. in den späten fünfziger Jahren begann und während der Kulturrevolution ihren Höhepunkt erreichte (Anm. 8)". Denn die Beschreibung der Wirklichkeit wäre einer Verleumdung des 'großen sozialistischen Vaterlandes' gleichgekommen ...
Statt dessen wurden in der Chinaoper die Heroen der Ideologie verherrlicht so wie in den Krimis der westlichen Welt die Ordnungskräfte, Winner und Besserverdiener.


[Chen Jo-hsi: Die Exekution des Landrats Yin. Erzählungen aus der Kulturrevolution. Ullstein-Tb., Frankf./M., 1982.]


Die Autorin hat dieselben Erfahrungen auch in einem  Roman  verarbeitet, der  auf deutsch im Horlemann Verlag  in Unkel erschienen ist.


©  Stephan Theodor Hahn, Bad Breisig, am 17.3.2009; korr. 2.9.2014.





Thema Umwelt