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Aus der Welt des Totalitarismus







Nationalsozialismus als fortbestehende Zeitströmung

Analyse der Ursachen des Zweiten Weltkrieges von John Lukacs


Quelle:

John Lukacs: Der letzte europäische Krieg 1939 - 1941. München, 1980 (Taschenbuch).

Originalausgabe "The last European War", New York, 1976.
Deutsche Ausgabe "Die Entmachtung Europas", Stuttgart, 1978, vom Autor überarbeitet und gekürzt.

I. Die Hauptereignisse
...
II. Die Hauptbewegungen
1. Das Leben der Völker
2. Der Marschtritt der Armeen
3. Die politischen Veränderungen
4. Die Beziehungen zwischen Staaten
5. Die Gefühle der Nationen
6. Die Übereinstimmung von Denken und Glauben



Die Beschränkung seiner Darstellung nur auf den "Zweijahreszeitraum" der großen militärischen Erfolge Deutschlands ermöglicht dem Autor John Lukacs eine wertfreie Darstellung des Geschehens allein auf Grund strategischer Überlegungen, aber auch auf Grundlage der "Empfindungen der Nationen". Die letztere Thematik nimmt sogar einen größeren Raum ein als der erste Teil mit den historischen Ereignissen.

Eine solche Mentalitätsgeschichte kann eigentlich nie objektiv sein und würde über einen größeren Zeitraum jeden Rahmen sprengen.
Mentalität kann tatsächlich bestenfalls punktuell beschrieben werden wie hier für den Zweijahreszeitraum 1939 - 1941 angesichts unerhörter Ereignisse. Leider kann sich die Überlieferung von Mentalitäten infolge des Nachahmungstriebes sogar negativ auf die aktuelle Mentalität auswirken.


Für die Deutschen sei beispielsweise das "Unterdrücken von Skrupeln im Interesse der nationalen Disziplin" typisch gewesen; dabei herrschte "keine allgemeine Kriegsbegeisterung" wie 1914 [Lukacs 1980, II-5].


John Lukacs vertritt darüber hinaus das wenigstens in einem globalisierten Zeitalter völlig überholte Konzept der Mentalität als nationaler Eigenart.

"Obwohl das Fortbestehen nationaler Eigenarten von Marxisten und abstrakten Ideologen unterschiedlicher Couleur ignoriert wurde, war es im Zweiten Weltkrieg besonders bedeutsam." [Lukacs 1980, II-5 - Abschn. "Das Fortbestehen nationaler Eigenarten"]

Die unterstellten Eigenarten sind aber wohl eher als nationalistische Einheitlichkeit zu verstehen:
"Die Ideologie und die Bürokratie des Dritten Reiches waren ... völlig auf eine Beseitigung des Regionalismus ausgerichtet. Goebbels wollte die Mundarten verschwinden lassen ..." (und durch die LTI, die 'Lingua Tertii Imperii' ersetzen).

Ein solcher Prozess fand aber auch in den anderen europäischen Ländern statt; durch Entstehung der Nationalstaaten nach dem Ersten Weltkrieg, eine allgemeine Schulpflicht und die Landflucht waren "überwältigend homogene Nationalkulturen" entstanden.


Des Autors eigener Schreibstil ist dagegen flüssig, unideologisch und wunderbar lesbar.

Der Text ist so harmlos, dass man die Tücken seines Inhaltes gar nicht bemerkt!



Ideologiegeschichte

Man muss dieser selektiven Darstellung des dem eigentlichen Kriegs-Armageddon vorangehenden Zeitraums zugutehalten, dass er eine ideologiegeschichtliche Erklärung für jenen liefern könnte. Auch die "Deutschlandberichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SOPADE)", die die Wechselwirkung zwischen Regime, Mentalität und ökonomischem Alltag beschreiben, konnten nur den Zeitraum 1934 - 1940 erfassen.


Lukacs behauptet, dass "die Mehrzahl aller Europäer" empfunden habe, dass die alte Ordnung aus "Liberalismus, Parlamentarismus, Demokratie und bourgeoiser Gesellschaft" in Auflösung begriffen war [Lukacs 1980, II-3].
Das ist eine rein suggestive Behauptung, da, auch wenn Frankreich und die anderen europäischen Länder Parlamente besaßen, in diesen immer autoritäre Regierungen dominiert haben, besonders in Mittel- und Osteuropa. Die Autorität dieser Regierungen beruhte teilweise auf der Aggressivität ihrer Militärs.


Nach nationalsozialistischer Lesart bedeutete die Niederlage Frankreichs im Jahre 1940 gleichzeitig das Ende der Epoche der Ideale der Französischen Revolution, die natürlich in Wirklichkeit ebenfalls eine Kombination aus Nationalismus und Sozialismus beinhaltetet hatten.

Als 'ancient régime' oder 'régime ci-devant' wurden nun Liberalismus und Parlamentarismus definiert, nicht mehr die feudale, absolutistische Ordnung [Lukacs 1980, II-3 - Abschn. "Die gespaltene Rechte"].

Allerdings waren andere autoritäre politische Richtungen (in Österreich die Klerikalfaschisten unter Fürst Starhemberg) und Regierungen oft die Hauptgegner der nationalsozialistischen Hegemoniebestrebungen Deutschlands.


Der Triumph Hitlers über Frankreich schien mit "der Rückkehr ins Zeitalter des Heiligen römischen Reichs deutscher Nation" verbunden zu sein und ein mittelalterliches "Europa voller Landsknechte, voller Söldner im Dienst einer imperialen Ideologie" herbeizuführen [Lukacs 1980, II-6].

Die Niederlage im Krieg beendete eine "Phase der europäischen Geschichte" von 1870 bis 1945 mit Deutschland als dominierender Macht. Deutschlands Militär- und Polizeiapparat hatte in den frühen 40-er Jahren seine maximale Expansion erreicht.

Die "kulturelle Vorherrschaft Deutschlands" soll angeblich schon länger bestanden haben: seine 'Romantische Reaktion (1770 - 1840)' habe das rationalistische Denken des 18. Jh. verdrängt und seine 'Neoidealistische Reaktion (1874 - 1941)' das materialistische und positivistische Denken des 19. Jh.s [Lukacs 1980, II-6 - Abschn. "Geist und Materie"].

Der Krieg beendete also eine antimaterialistische und postmoderne Phase.



Frankophobie

Der Autor scheint auch selbst wie Hitler der Frankophobie anzuhängen. Dem könnte dieses Narrativ aus der Geistesgeschichte von der Überwindung des französischen Geistes durch den deutschen zugrundeliegen.

Deutsche Kultur sei zu einer "Alternative zu dem verknöcherten französischen Rationalismus des 18. Jahrhunderts" geworden.
"Deutsch, nicht Französisch, war die zweite Sprache von Millionen".
Ihr Prestige "wurde zeitweilig durch die siegreichen Vorstöße der Deutschen quer durch Europa erneut verstärkt". [Lukacs 1980, II-5 - Abschn. "Inter-nationale Affinitäten"]


Die Franzosen werden von John Lukacs eines allgemeinen Defaitismus gescholten, besonders natürlich die sich in der Vichy-Regierung sammelnden Persönlichkeiten.

General Weygand sei praktisch nur zur Kapitulation fähig gewesen und "gab den ausdrücklichen Befehl, Paris nicht zu verteidigen".

Der Autor behauptet: "Die Feigheit eines Teils der Streitkräfte war ein Spiegelbild der Gesinnung der Bevölkerung." [Lukacs 1980, II-2 - Abschn. "Die kriegerischen Qualitäten"]

Die Franzosen fürchteten offenbar nichts mehr als die Zerstörung ihres Landes und ihrer Heimstätten.


Die meisten Franzosen hätten sich eine rationale Erklärung für die Kapitulation zurechtgelegt "- eine der gefährlichen Tendenzen des intellektuellen Zuges des französischen Nationalcharakters".

Die deutschen Besatzer konnten sich eines unanständigen "Stromes von Denunziationen" unter französischen Nachbarn erfreuen, was Lukacs als das Ergebnis "des ungehemmten Individualismus, des 'culte de soi', den die Franzosen so lange praktiziert hatten", interpretiert. [Lukacs 1980, II-5 - Abschn. "Das Fortbestehen nationaler Eigenarten"]



Hitler

"Das allgemeine Verderben des Volkes machte ihm Muth. Es war ihm leicht geworden, ieden verdorbenen Menschen ieden sittenlosen Schwelger an sich zu ziehen und in dem allgemeinen Bund aller Bösewichter eine Sicherheit zu finden die ieden bessern Mann und iedes Schicksal des Bürgers in seine Hände legte."
Wilhelm Friedrich von Meyern: Dya-Na-Sore, 1787 - 91.


Der Mentalität von Hitler-Anhängern wird auch in dieser Darstellung ein allzu breiter Spielraum zugestanden. In diesem fast 500 Seiten dicken Wälzer wird praktisch mit keinem Wort erwähnt, was Hitler der Demokratie angetan hat.

Hitler habe die Arbeitslosigkeit nicht mit den volkswirtschaftlichen Prinzipien des Liberalismus, sondern durch das Vertrauen, das er weckte, beseitigt.

Das nationalsozialistische Deutschland habe es im Gegensatz zum Sowjetkommunismus verstanden, "bis weit in den Krieg hinein" seinen "hohen Lebensstandard zu erhalten". [Lukacs 1980, II-1 - Abschn. "Die Gesetze der Volkswirtschaft"]


Die Jahre 1939 - 41 lassen Hitler als den genialsten Feldherren aller Zeiten erscheinen. Es komme eben "auf den wirkungsvollen Einsatz von Waffen, nicht auf ihre Menge" an [Lukacs 1980, II-1].

Bis Mitte 1941 habe es auch noch keine Zwangsarbeit durch Kriegsgefangene gegeben.


Hitlers Ideale waren keine nationalsozialistischen, sondern lediglich Deutschtum und Antisemitismus. Seine politische "Synthese zwischen Nationalismus und Sozialismus", die sich sonst bekämpfen, diente ihm lediglich als "Appell an den Idealismus" potentieller Anhänger. [Lukacs 1980, II-3 - Abschn. "Nationalsozialismus"]


Hitler habe ein "intuitives Verständnis" für "kulturelle Prototypen", also Nationen besessen [Lukacs 1980, II-5].
Das wäre ja wohl unmöglich in Einklang zu bringen mit seinem Antisemitismus, seiner Frankophobie und seinem Polen- und Russenhass.



--> Fortsetzung des Textes --->





©  Stephan Theodor Hahn, Bad Breisig, am 7.9.2022