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Der frühe Neil Young
Nobody is perfect!

NEIL YOUNG ARCHIVES VOL. 1 (1963-1972)

[-> http://www.neilyoung.com]


Nach durchweg schlechten Erfahrungen mit sogenannter Rockmusik sitze ich heute am liebsten im stillen Kämmerlein und höre Kirchenmusik von Dietrich Buxtehude. Seinerzeit hob sich ja Neil Young ein wenig von der gewöhnlichen Popmusik ab - warum also nicht noch einmal nachhören?


Das hier zusammengestellte Tonmaterial ist bis auf wenige Ausnahmen so grottenschlecht, dass man sich fragt, wie so etwas Berühmtheit erlangen und gewissermaßen DIE Referenz einer alternativen Kultur werden konnte.

Gerade die Textinhalte sind abgeschmackter Nonsens oder Kitsch für Analphabeten.
Vielleicht besitzen diese 'lyrics' für amerikanische Muttersprachler Wortwitz, mir sagen sie jedenfalls überhaupt nichts ...

Viele Popmusiker wollten teilweise so etwas wie Poesie-Alben für Pubertierende schaffen, Neil Young soll seine extrem simplen Texte dagegen oft in wenigen Minuten zusammengekritzelt haben.

Aber der Text ist in der Populärmusik selten gehaltvoll, man muss sich bei seinen Auftritten ja an ihn erinnern können.


Der frühe Young konnte weder in einer Gruppe niveauvolle Musik spielen (Fillmore East - Konzert, 1970), noch als Alleinunterhalter gefallen (bisher unveröffentlichte Aufnahmen "Live on the Riverboat", Toronto 1969).

Einige Songs und seine Stimme hatten allerdings ein gewisses Potential, wenn Young nur damals fähig gewesen wäre, sie bewusst einzusetzen (er hat ja im Alter einige musikalische Reife erreicht). Dieses Potential ist jedenfalls in fast allen diesen frühen Interpretationen vertan worden - mutmaßlich auch unter dem Einfluss bestimmter Drogen oder drogenkonsumierender Mitspieler ...

Das Musterbeispiel hierfür ist das Fillmore East - Konzert vom März 1970, das mir als Jugendlichem, aber wahrscheinlich nicht nur mir alleine eine nicht wieder gut zu machende Enttäuschung bereitet hat.


"After the Gold Rush" war dann vergleichsweise ansprechend, wenngleich der Sinn dieser Songs und des Ganzen ziemlich dunkel blieb.

Young ist nur Stimme; sein künstlerisches Markenzeichen war geworden, belanglosen Worten und Melodien eine tiefere Bedeutung zu geben - mit Hilfe seiner hohen, meckernden und brüchigen Stimme!
Anklänge an die amerikanische Folk-Tradition waren nur zuweilen und kurzzeitig, aber auf niedrigem technischen Niveau herauszuhören.

Nach Abhören der acht CDs bleibt das Empfinden, dass Youngs Stücke erst durch die pedal-steel-guitar von Ben Keith auf der LP "Harvest" (1971) musikalisch geworden sind; immerhin ist es aber wohl Young selbst, der bei dem Titel "Alabama" die so unvergleichliche, primitive E-Gitarre spielt ...



Die Interpretation seiner eigenen Songs ist Young nur teilweise gelungen, er brauchte hierfür immer mehrere Anläufe, wie auf den hier versammelten Aufnahmen zu realisieren ist.

Und selbst, wo seine Vortragskunst schon ausgefeilter ist (Massey Hall - Konzert im Januar 1971), muss man sich über die Qualität dieser Stücke einige Sorgen machen.
Beispielsweise hört sich "Love in Mind", einer seiner besseren Songs in der Massey Hall, ein wenig an wie eine Rede von George Bush Jr. - auf syntaktischer wie auf intellektueller Ebene ...


Sein gesamtes frühes Programm spielte sich bei genauerem Hinsehen irgendwie auf Pfadfinder-Niveau ab ("Dance, Dance, Dance") und dazu passt die Kombination mit dem "London Symphony Orchestra" auf der LP "Harvest" wie die Faust aufs Auge.

Auf der letzten CD der Archiv-Box befindet sich eine besonders grauenvolle Alternativ-Version von "A Man Needs A Maid" mit dem "London Symphony Orchestra". Der Song war ohnehin schon berüchtigt, aber diese Aufnahme wirkt so, als wolle ein reicher Spanner seinen beschränkten Phantasien mit Gewalt Realität verschaffen.


Young hat als besonders unbedarfter Halbstarker angefangen und scheint als solcher auch im Kulturbetrieb Fuß gefasst zu haben. Offenbar war es Neil Young, der auf der anderen Seite des Ozeans Identifikationsobjekt der vermeintlichen 68-er-Bewegung werden sollte oder sich selbst dazu aufbaute.
Er ist damit einigermaßen wohlhabend geworden.


Wenn in den 70er Jahren die Jugendlichen weltweit ziemlich benebelt irgendwo am Rande der Gesellschaft und der zivilisierten Welt von billigen Cassettenrekordern mit Young beschallt wurden, dann war sein Sound tatsächlich eine Erleuchtung, auch wenn es nicht heißt "a fine wine", sondern "a fine mine" ... !


Eine kaputte Stimme in einer kaputten Welt.
Eine feste Größe oder der letzte Halt in den chemisch ausgefransten Weiten des Bewusstseins.
Ein Freund, der keine gute Stimmung mitbringt, sondern eine Atmosphäre der geistigen Umnachtung und des Missbrauchs.
Oder ein sadistischer Unfreund?


Wenn man aus seinen musikalischen Äußerungen eine Art Humor herauslesen will, dann muss es sich um einen ziemlich ungesunden Humor gehandelt haben; schließlich ist Neil auch von einer Reihe schlimmer Krankheiten wie Kinderlähmung und erblicher Epilepsie heimgesucht worden.


In der Box sind viele bisher unveröffentlichte Aufnahmen versammelt, die aber in den seltensten Fällen hörenswert sind. Vieles lässt sich dadurch entschuldigen, dass es am Anfang der Musikindustrie steht - die Technik war noch wenig entwickelt oder wurde nicht allgemein eingesetzt.

Dass Young dieses Material trotzdem publik macht, scheint mir ein Akt neurotischer Selbstzerfleischung zu sein.
Die damals selektierten Schallplatten-Titel sind dagegen keineswegs vollständig; und die Reihenfolge der Titel mag zwar chronologisch sein, wirkt aber dadurch auch ziemlich unkohärent.


Ich empfehle, Haltung zu bewahren und diese Tonträger als pure Geldmacherei zu erkennen. Aber Geldmacherei gilt ja wieder als überaus ehrenhaft oder sogar als eigentliche Aufgabe der Menschheit ...


©  Stephan Theodor Hahn, Bad Breisig, am 12.6.2013




Nachtrag (22.12.2015):

Seine beste frühe Aufnahme scheint "The Last Trip to Tulsa" auf der LP "Neil Young" zu sein, nicht nur, weil der mehrstrophige surreale Text nebst Gitarrenbegleitung sich weit von jedem Mainstream abhebt, sondern auch, weil Neil Young zu diesem Zeitpunkt offenbar bei bester Stimme war.

Ähnliches gilt für die Aufnahme "Nowadays Clancy Can't Even Sing" 1968 live in Ann Arbor.
Clancy findet man nicht im Wörterbuch; dies ist der Familienname irischer Einwanderer, die in den 60ern erfolgreich Folkmusik machten.

Diese beiden Nummern sind auch in der besprochenen Box zu finden (CD "TOPANGA 1").


Von einem Teil der frühen Songs geht trotz meiner oben geäußerten Unkenrufe immer noch eine große Faszination aus, so simpel sie auch sind.

Ich habe mich daher auch mit der Lektüre seiner Autobiografie befasst.
Noch mehr als seinen Songs mangelt es seinen Aufzeichnungen an konkreter Information, sein Schreibstil ist eher dispers.

Young bekennt sich zu seinem unbefangenen Umgang mit Drogen jeder Art, obwohl sie in seinem Lebensumfeld einiges Unheil angerichtet haben. In der Autobiografie nennt er allerdings nur Gras, Tequila und Koks auf dem Festival von Altamont.

Auch das unter amerikanischen Musikern weit verbreitete Spiel mit der doppelten Bedeutung von 'horse' als Inspiration ihrer musikalischen Produktivität wurde bereits durch den Namen seiner Band "Crazy Horse" auf die Spitze getrieben.


Dass Neil Young neben interessanten auch schwache Songs produziert hat, mag man ihm verzeihen. - Unverzeihlich ist aber, dass er mit seiner "Ware" zu viel Geld gekommen ist.
Da bekanntlich von Anderen mit viel größerem Mist noch viel mehr Geld gemacht wird, bleibt noch zu kritisieren, für welche Statussymbole er dieses Geld ausgegeben hat:
Er steckte all seine Liebe in alte amerikanische Straßenkreuzer (- außerdem auch noch in Modelleisenbahnen) ...

Er will diese großen alten Schlitten für die amerikanische Langstrecke mit Ethanol aus Mais betreiben. Dass das Nahrungskonkurrenz bedeutet, will er nicht gelten lassen. Und dabei beruft er sich auch noch auf Henry Ford. Was ist das für ein Vorbild?




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