Die Staatsräson hat entschieden, dass das Volk mit Hilfe des Fußballs (live im Fernsehen - dead im Stadion) von der Straße geholt werden soll.
Und die Vernichtung eines die Staatsmacht bedrohenden wertkritischen Denkens soll von einer von Autorennen zu Autorennen düsenden Prätorianergarde besorgt werden.
Die gleichen Mechanismen wandte man schon im alten Rom an - in Form von Gladiatoren-Kämpfen.
Gladiatoren
... Ich wünsche also, Leser, du mögest dir den sterbenden Gladiator, das den Daumen niederhaltende Volk und den sich langweilenden Cäsar vorstellen, sofern man solche Dinge sich überhaupt vorstellen kann. Nun müssen wir versuchen, es zu verstehen. Sich entrüsten, ohne zu verstehen, das macht böse.
Ganz gewiß gab es hohe politische Gründe zugunsten jener schändlichen Spiele. Das Volk sollte ständig Mitleid und Entsetzen durch Bewunderung bezwingen. ... Dank ihrer eigenen Gefühle verstanden alle, daß das Leben hart und grausam ist, nicht leicht und locker. Darin etwa bestand der politische Diskurs.
Nun dürfen Sie keineswegs annehmen, die privaten Gespräche hätten nichts als Entrüstung und Revolte ausgedrückt. Natürlich empfanden die Sklaven dauernde Wut gegen die Herren, aber sie dachten nicht immer daran. Gewiß beschäftigte und begeisterte viele die Kampfeslust. Kraft, Glück, Ruhm füllten einen beachtlichen Teil ihrer Gespräche aus. Nach den grausamen Festen erquickten sie sich an Nahrung, Wein und Schlaf. Verwundete genossen die Pflege des Krankenhauses. Die Mutigsten gewannen die Liebe schöner Frauen. Notwendigkeit vertrieb zweifellos viele bittere Gedanken, denn man beschäftigt sich nicht gern mit dem Unabänderlichen. Wahrscheinlich entstand so in jener Welt unterhalb des Menschlichen ein menschliches Leben, erfüllt mit Absichten, Hoffnungen, Rivalitäten, Ehre und Scham. Man zeigte seine Wunden wie militärische Auszeichnungen. Was die Bekenntnisse eines alten Gladiators im Ruhestand betrifft, soweit es das überhaupt gab, die kann jeder selbst erraten.
... Ruhm muß von hohem Wert sein, da so viele Soldaten ihn in der Ferne suchen und nicht müde werden, vor gelangweilten Leuten davon zu erzählen. Dagegen kämpfen und sterben die Gladiatoren in grellem Licht vor einem angespannt zuschauenden Volk.
Alle diese Gründe und noch tausend andere, ohne die Gewohnheit mitzurechnen, verhindern nicht die Richtigkeit des Standpunktes von Seneca, der das Wesen der Sache betrachtete und folgerte, daß keine Lust, kein Nutzen, keine Notwendigkeit solche Mittel rechtfertigen können.
Auszug aus:
Alain: Mars oder Die Psychologie des Krieges. Übersetzung Heinz Abosch (1983).
Alain ist Emile Auguste Chartier (1868 - 1951), der im Jahr 1918 aufgrund der Schrecken des Ersten Weltkriegs eine Sammlung psychologisch-philosophischer Betrachtungen veröffentlichte ("Mars ou la guerre jugée").
Leider ist Alain so humanistisch, dass er nur die Gladiatoren bemitleidet, aber mit keinem Wort die ungezählten Kreaturen erwähnt, die die Opfer der Gladiatoren wurden.
Seneca war übrigens als Hauslehrer bei Kaiser Nero engagiert. Tragischerweise wurde er allerdings von diesem gezwungen, sich das Leben zu nehmen. Da war er allerdings schon in einem Alter, wo ihm das nicht mehr allzuviel ausgemacht haben dürfte.
© Stephan Theodor Hahn, Bad Breisig, am 23.12.2012