zur Startseite


Entweder - oder!

Meinungsführerschaft durch Indoktrination und Opportunismus


Die neue deutsche Atompolitik postuliert Lernfähigkeit, wo vor wenigen Jahren eine Denktätigkeit noch den Tatbestand der Verfassungsfeindlichkeit erfüllen sollte.


Völlig überraschend (vgl. mein Bild-Artikel zum AKW Mühlheim-Kärlich) haben die Regierungsparteien innerhalb kürzester Zeit einen Richtungswechsel unternommen und sich in Konsens mit einer zentralen Forderung der Opposition begeben - dem sofortigen Atomausstieg. - Damit hat die deutsche Politik eine Lernfähigkeit bewiesen, die man bei Nachrichten aus anderen Ländern (nicht allein zur Klima- und Atompolitik) vermisst.


Es ist ein seltenes und äußerst erfreuliches Ereignis, wenn die Herrschenden eine Forderung der Beherrschten erfüllen; denn ansonsten herrscht leider auch in der Politik der Gegenwart eine unschöne Zwanghaftigkeit zur radikalen Blockbildung und Abgrenzung auch in formellen Dingen.

Und je stärker die regierende Partei ist, desto abstrusere Ziele darf sie verfolgen ... Zu diesem Zweck kann sie sich eine Autorität anmaßen, die die Bevölkerung dem kategorischen Imperativ 'Entweder - oder' bzw. 'Ja, aber nicht nein' unterwirft.


Wenn ich behaupte, die Regierung habe Lernfähigkeit bewiesen, so vor allem vor dem Hintergrund, dass noch vor wenigen Jahren im Mainsteam des Denkens davon nichts zu spüren war. - Als Beispiel möchte ich hier einen Artikel analysieren, der das Weltbild der damaligen Zeit gut zu dokumentieren scheint.

Erschienen ist er in der Wochenendbeilage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (dem "FAZmaga"). - Leider fehlten im Inneren der Hefte stets die Erscheinungstermine, so dass ich das Alter des Artikels nur ganz grob auf etwa 15 Jahre schätzen kann.
Es handelt sich um den Artikel  "Die Wahrheit über die intellektuelle Mafia"  von Karl Markus Michel.





Diese Jahre der nach außen festgefügten CDU/ CSU - Plutokratie zeichneten sich durch eine Unmenge von Regierungsvertretern und sympathisierenden Nicht-Regierungsvertretern aus, die sich zur Meinungsführerschaft berufen fühlten, und dies vor allem auch deswegen, weil sie sich dabei fast immer einer applaudierenden Menge sicher sein konnten.

Eine volkstümliche kollektive Meinungsbildung hebt sich manchmal wohltuend von gespreiztem Intellektualismus jeder Art ab. Doch die vermeintliche und stets vorausgesetzte Meinungsführerschaft der Presse wie in diesem Text konnte in jenen Jahren auch zu einigem Unbehagen führen.


Zuerst wird in diesem Artikel, um demokratische Grundhaltung vorzutäuschen, Helmut Schmidt mit einem Zitat bemüht, um uns zur Liebe zu unserm Volk (nicht dem Volk an sich) aufzufordern. Daraufhin kann man unumwunden gleich zur Sache kommen, dieses (deutsche) Volk selbst zu sein und deshalb das Recht zu haben, herumnörgelnde Intellektuelle als Verfassungsfeinde zu belästigen.

Zu diesem Zweck wird etwas breiter auf die preußische Geschichte eingegangen, wenn auch in einem einseitig extremistischen Sinne. Es wird nämlich die "große Schuld" Friedrich des Großen daran beschworen, dass sich "in Preußen der unselige Geist der Aufklärung ausbreitete" und sogar ein Philosoph wie Voltaire empfangen wurde ... (Nach zeitgenössischen Berichten war Preußen trotzdem ein Sklavenstaat auf dem Rücken von Leibeigenen und Soldaten.)

Sehr sinnig wird auch gleich unser aller Wunschkanzler Adenauer in die richtige Ecke gestellt und das Entsetzen angedeutet, das aufgekommen wäre, wenn dieser so einen wie J.-P. Sartre empfangen hätte ...

In diesem geschichtlichen Exkurs wird endlich auch einmal der rechte Geist gewürdigt, der in vergessenen Persönlichkeiten des preußischen Hofes weste:
... in dem Minister Wöllner, der "Krieg gegen die Aufklärer", die "Apostel des Unglaubens" und für den "heiligen Glauben" führen durfte.
... oder in dem Oberhofprediger Johann August von Starck, der es dunnemals vermochte, den dortigen Intellektuellen wie Forster, Kant und Lessing Mores zu lehren mit seinem Werk "Der Triumph der Philosophie im achtzehnten Jahrhundert" ... Zitat: "Die Welt wird durch Meynungen regiert, und diese Meynungen sind es, welchen den Regenten ihre Erhaltung vornehmlich danken."

Kurz, die herrschende Meinung bzw. die Meinung der Herrschenden geht vor Aufklärung, - nur diese Meinung darf und soll man aus Opportunismus vertreten. - Nach vielem Nachdenken begreift man, worauf Karl Markus Michel eigentlich hinaus will, dass nämlich Intellektuelle die braven Leute nur dazu verleiten wollen, eine schlechte "Meynung" von der herrschenden Klasse zu haben, denen wir doch so schöne Dinge wie die Bundesliga und Techno-Parties zu verdanken haben.





Leider ist die Art, wie hier Wort an Wort gereiht wurden, so hanebüchen und ungeheuerlich, dass es einfach nicht zu verdauen ist. Wollte sich der Autor wirklich mit solchem schon fäkalem Unsinn diskreditieren, oder ging es um das Zeilengeld, das ihm die gefährlichen Redakteure dieser Zeitung auch gerne zuschanzten?

Nein, ich fürchte, der Angriffspunkt ist tatsächlich der Leser; er soll der hohen demagogischen Kunst teilhaftig werden, unbeteiligte Personen in die tragische Rolle linker Intellektueller zu stecken. Der Leser oder die Leserin soll die uneingeschränkte Macht des Autors erfahren, den absurdesten Unsinn aufzutischen, ohne dass er/sie/es etwas dagegen tun könnte.


Die "Intelligenzija" sei eine Mafia, "die ihre Klientel in allen Kreisen und vornehmlich unter Politikern hat, das macht sie so gefährlich". Diese "bestallten Intellektuellen" sind "Berufsmafiosi", schließlich sind sie ja bestallt.

Ein Gutes hätten die deutschen Intellektuellen aber immerhin gehabt: sie hätten so lange "vor allem Deutsch-Nationalen" gewarnt, bis Deutschlands Nachbarn zu guter Letzt die Wiedervereinigung zugelassen hätten, weil sie keine Angst mehr vor den Deutschen haben konnten.


In seinem Kampf gegen die Denkfähigkeit schießt der Autor jedoch ein Eigentor: Warum nur blieb "den Konservativen nichts anderes übrig, als im Abstand von zehn oder hundert Jahren das zu hegen, was sie einmal bekämpften, als wäre es die Pest" ?

Versteckt folgt hierauf bald eine einleuchtende Antwort. - Weil sie zu sehr damit beschäftigt waren, unter Ausübung der politischen Macht in den Genuss "von Privilegien, Sinekuren, Deputaten und Pfründen, von Spenden und Schnäppchen aller Art" zu kommen, um eigene bleibende geistige Werte zu schaffen.

"Die Macht des Intellektuellen hingegen ermangelt offenbar solch schöner Beute. Heißt das, daß er gar keine hat, höchstens von ihr träumt?"

Wenn hier meine Antwort Ja lauten würde, so spottet der Autor: Nein; was "jene Konspirateure" erstreben, sei ja nur die "symbolische Macht", die "Meinungsführerschaft" (- und nicht die Okkupation der gesellschaftlichen Schlüsselpositionen)!


Wenn man durch die vollkommene und irrationale Bösartigkeit dieses Textes dem Selbstmord näher gekommen ist ("Uns kommt in der Tat der arge Verdacht, dass es gar keine intellektuelle Mafia gibt." hahaha), dann blitzt im letzten Absatz noch einmal so etwas wie Komik auf: Hier gibt der Autor den Braven, der ganz schnell vom Bluthund der Diktatur zum Biedermann umschwenken kann und die Nationalhymne singen.



©  Stephan Theodor Hahn, Bad Breisig, am 25.6.2011



Nachtrag:
(am 24.1.2012)


Ich habe Karl Markus Michel für einen ganz normalen Kolummnenschreiber gehalten, wie ihn Zeitungen seit jeher hervorgebracht haben. Doch seltsam, in der Wikipedia kann man nachschlagen, dass er zeit seines Lebens und fast ausschließlich in linken Periodika veröffentlicht hat ...

Daraus könnte man nun schließen, dass er sich erst gegen Ende seines Lebens in diesem Artikel zur "herrschenden Meinung" bekehrt hat, was dadurch erklärbar wäre, dass nach der Wiedervereinigung, als sich eine sehr große Mehrheit für die BRD und gegen die DDR entschieden hatte, der Druck der Öffentlichkeit einfach zu groß wurde!


Eine andere Sichtweise bietet die verbreitete Verschwörungstheorie, dass alle Opposition im Westen von Moskau aus, bzw. in der BRD von Ostberlin gesteuert wurde. Diese Theorie wird etwa dadurch genährt, dass Herrn Kurass, der offensichtlich durch einen gezielten Schuss Benno Ohnesorg tötete und dadurch eine Studentenunruhe auslöste, eine Agententätigkeit für die DDR nachgewiesen wurde. Auch einige RAF-Mitglieder sollen in der DDR ausgebildet oder angeleitet worden sein.

In dieser Variante wäre also auch Herr Michel als ein 'agent provocateur' anzusprechen, dessen Artikel Reaktionen hervorrufen sollte, wie sie oben von mir wiedergegeben wurden, - welche ich in ihrem Kern aber für völlig berechtigt halte.







Thema Umwelt