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Terror und Gewalt


Es ist nichts Neues, dass Nationalsozialisten wie Barbie und Mengele unter falschem Namen im Untergrund weiterlebten. Doch auch der Nationalsozialismus selbst ist wieder aktiv, indem er türkische Imbissbuden-Besitzer und sozialdemokratische Jugendgruppen metzelt.


Terror und Gewalt psychoanalytisch deuten

Der Jenaer Soziologie-Professor Hartmut Rosa gab in der Zeitung "Le Monde diplomatique" die wohl gängige Freud'sche Methode wieder, politische Gewalt psychoanalytisch zu deuten. Sie erscheint aber angesichts der neuesten Exzesse irrationaler rechter Gewalt ziemlich antiquiert.

Aus eigenem und in allgemeinem Interesse gebe ich diese Passage hier wörtlich wieder:


"Man muss kein großer Kenner der Psychoanalyse sein, um in Staat, Polizei und Militär die Repräsentanten des (externalisierten) Über-Ichs zu erkennen. Das Über-Ich steht in der psychoanalytischen Tradition für die Kräfte der Ordnung, der Autorität, der Gebote und Verbote, der normativen Regeln. Sein erster Repräsentant ist der Vater, sein mächtigster Repräsentant "Vater Staat". Ihm gegenüber steht das Es - die vitale Kraft der unkontrollierten und potenziell unkontrollierbaren Triebe, Instinkte und Bedürfnisse, jene Kraft, die für die Abweichung von der Norm, für das "Andere" und "Fremde", aber auch für die Erfahrung ungezügelter Lust in uns verantwortlich ist.

Nach Freuds Überzeugung müssen Es und Über-Ich im Ich zur Balance gebracht werden, doch diese ist stets prekär: Sie ist von beiden Seiten her in Gefahr, zerstört zu werden. Ein übermächtiges Über-Ich droht die vitalen und kreativen Energien zu ersticken und die Lebensfreude zu vernichten, es verursacht Neurosen; ein übermächtiges Es aber untergräbt jede Chance auf planvolles, rationales Handeln, auf die Verwirklichung moralischer Grundsätze und auf die Sicherung sozialer Ordnung.

Tatsächlich steht nach psychoanalytischer Überzeugung jeder Einzelne von uns immer wieder neu und lebenslang vor der Aufgabe, die beiden Seiten zum Ausgleich zu bringen, und tatsächlich gibt es gute Gründe, die Macht der einen wie die der anderen zu fürchten. Daraus lässt sich eine verblüffend einfache, aber erstaunlich tragfähige und Erkenntnis erschließende These formulieren:
Die Rechtskonservativen fürchten sich vor dem Es, sie fürchten um die Aufrechterhaltung der Ordnung und der Moral. Deshalb ist ihnen der Einsatz der ordnenden Gewalten des Über-Ichs, der Polizei, der Justiz, des Militärs, des Staatsapparates unverdächtig und willkommen, um die "zersetzenden Elemente" und Tendenzen des Es zu bekämpfen und in Schach zu halten.

Die Linksalternativen hingegen fürchten sich vor dem Über-Ich, sie fürchten um die Vernichtung des Anderen, Fremden, Opponierenden, um die Auslöschung der kreativen Energien. Deshalb sympathisieren sie so oft und fast reflexhaft mit den "Anderen", die in Gefahr stehen, mit den Ordnungsmächten in Konflikt zu geraten - denen, die von den Rechtskonservativen geradezu als Repräsentanten des externalisierten Es interpretiert werden: mit den Schwulen, den Ausländern, den Asylanten, Drogensüchtigen, Behinderten usw."




Ich kann mich der Plausibilität einer solchen Deutung zwar anschließen, doch stellt sie nur ein sehr grobes 'Schema F' dar, das in der Realität der Gewalt stark nivelliert wird oder sich sogar umkehrt. Beispielsweise geht laut Grundgesetz "alle Staatsgewalt vom Volke aus", also gewissermaßen vom bösen Es!

Diese Analyse geht auch der eigentlichen Frage aus dem Weg, nämlich wer denn eigentlich Gewalt und Terror ausübt und mit welcher Motivation.

Normalerweise wird unter politischer Gewalt fast immer die Staatsgewalt verstanden, während der Kontext der vorgestellten Passagen sich ausdrücklich auf oppositionelle Gewalt bezieht.
Ein wichtiges Problem ist dabei, dass Einzelne kaum politischen Druck ausüben können, selbst mit Gewalt nicht! Ein anderes Problem ist, dass es immer noch Leute gibt, die in der Gewaltausübung die eigentliche Aufgabe staatlicher Institutionen sehen.

Zwar wird klar herausgearbeitet, dass es ein Gegenüber einerseits des Staates und andererseits des Gewalttäters gebe. In den sich heutzutage wieder stark vermehrenden politisch-rassistischen Gewalttaten wird jedoch zuerst einmal der Mitmensch angegriffen und nicht etwa der Staat als Repräsentant des Über-Ich. - Allerdings ergreifen die Strategie des Terrors gegen Unschuldige sogar Staaten (wie im letzten Irak-Krieg) und politische Gruppierungen (die islamistischen Selbstmord-Attentäter).

Es mag erklärbar sein, juristisch aber keineswegs konsequent (- das Recht steht über der Staatsräson -), wenn politische Gewalt gegen den Staat härter bestraft wird als die Gewalt gegen den Bürger, - mit anderen Worten, "dass RAF-Terroristen stets das Urteil "lebenslänglich" erhielten, auch wenn man ihnen kaum eine konkrete Tatbeteiligung, geschweige denn tatsächliche Tötungshandlungen nachweisen konnte (noch immer weiß niemand, wer Buback erschossen, wer dabei überhaupt geschossen hat), während Neonazis immer wieder mit dem Argument laufen gelassen werden, man könne ihnen in der konkreten Situation nicht nachweisen, mit welcher Wucht sie wirklich geschlagen und getreten hätten und ob gerade ihr Schlag oder Tritt tödlich gewesen sei."

Niemand wird bezweifeln, dass die RAF politische Gewalt ausübte, zu der angeblich nur der Staat das Recht hat; und niemand wird bezweifeln, dass die RAF Terror ausübte, den auszuüben der Staat kein Recht hat (etwa, indem er Demonstranten erschießt oder willkürliche Urteile ausspricht).


Das Problem ist aber vielmehr, dass sich staatliche Parteien, nichtstaatliche Gruppierungen und sogar der kriminelle Untergrund im Namen des Über-Ichs das Recht herausnehmen, Gewalt und Terror brutalsten Zuschnitts gegen Menschen auszuüben.
Doch verwischen sich dabei zunehmend die psychoanalytischen Grenzen: - denn ist es nicht vielmehr eine Partei des Es, die andere terrorisiert und mit Gewalt unterdrückt?

Es war schon vor 70 Jahren ein Kennzeichen der Nationalsozialisten, dass das Ziel ihrer Gewalt-Techniken vor allem der absolut wehrlose Mensch war. Sie übten damit zwar Staatsterror aus, doch kann man bei Gott nicht behaupten, sie hätten damit dem Über-Ich gedient.

Genausowenig dient der Terror des Hooligans seinem Über-Ich, sondern nach eigenem Selbstverständnis nur dem Ausleben seines Es.


Es gibt fernerhin bei der Motivation einen graduellen Unterschied zwischen Gewalt und Terror, der bei obiger Psychoanalyse nicht berücksichtigt wurde. Gewalt verfolgt ein Ziel und kann daher auch eine politische oder taktische Strategie darstellen. Terror verfolgt kein Ziel mehr, sondern soll durch besondere Unmenschlichkeit ein Zeichen setzen. Terror ist daher taktisch immer kontraproduktiv, weil er den Kredit des Ausübenden endgültig verspielt.


Wenn ein norwegischer Jüngling namens Breivik etwa 90 Jugendliche in einem Ferienlager hinrichtet, bloß weil sie nicht zu der Partei gehören, für die er sich engagiert, ist das dann politische Gewalt ?

Manches spricht dafür: etwa dass er sich selbst als Heimatkämpfer darstellen will - abgelichtet in Heimatkämpfer-Uniform, und dass er sogar den "Anstand" herauskehrt, eine Ansprache an die Hinterbliebenen seiner Opfer halten zu wollen.

Das scheint aber gleichzeitig auch eine Verhöhnung der politischen Gewalt darstellen zu sollen. - Das Es der Rechts-Terroristen hat also durchaus auch das Über-Ich der bestehenden Ordnung im Visier, nicht nur die normativen Regeln der allgemeinen Menschenrechte.



Quellenangabe:
Hartmut Rosa: Verlorener Sohn und Vater Staat. Ein Vorschlag, politische Gewalt psychoanalytisch zu deuten, in: Le Monde diplomatique, deutsche Ausgabe, Juli 2007, 13. Jg., S.16-17.






©  Stephan Theodor Hahn, Bad Breisig, am 23.11.2011





Thema Umwelt