In Italien gibt es offenbar Orte, die von notorischen Kriminellen so vergiftet worden sind, dass schon ein kurzer Aufenthalt die Gesundheit eines Menschen für Wochen oder sogar das ganze Leben ruiniert.
Illegale Abfallentsorgung auf dem eigenen Grundstück wird in Italien bestenfalls als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße geahndet, und das organisierte Verbrechen kontrolliert weltweit sehr große Grundstücke!
In einem Telepolis-Artikel vom 4.12.2016 mokierte sich Jenny Perelli über eine Zufriedenheitsstudie des nationalen italienischen Instituts für Statistik ISTAT, die zum Ergebnis hatte, dass die Bevölkerung vornehmlich Kriminalität, die Umweltbelastungen durch den Straßenverkehr und die unzureichenden öffentlichen Verkehrsmittel beanstandete.
Darin will Pirelli eine vom Staat vorgetäuschte "heile Welt" sehen, die die "prekäre wirtschaftliche Lage" der Bevölkerung nicht genügend berücksichtige. Gewöhnlich folgt als nächster Schritt solcher Argumentationen die Lobpreisung wirtschaftlicher Liberalisierung auf Kosten der Umwelt.
Normalerweise haben aber auch arme Menschen ein Interesse daran, ihre lebensbedrohliche Umwelt einigermaßen zu sanieren, noch bevor sie an Geld denken ...
Ich würde gerade in dem Bild von lauter netten Italienern, die in Armut leben, die Vorspiegelung einer "heilen Welt" sehen, wenn der brutale und systematische Missbrauch der Umwelt keine Beachtung findet.
Die italienische Umwelt gerade in den Städten ist tatsächlich nicht nur ökonomisch, sondern auch gesundheitlich bedenklich, was zum Teil auch auf die Mafia zurückzuführen ist.
Ich sehe darum keinen Grund, an der beanstandeten Studie beispielsweise in Zweifel zu ziehen, Italiener seien misstrauisch: "Während im Süden nur 16,5% der Bevölkerung glaube, dass die meisten Menschen vertrauenswürdig sind, glaubten das 21,7% im Norden - und 20,8% in Zentralitalien."
Wenn man sieht, was mafiöse Interessengruppen mit den Italienern veranstaltet haben, dann sind diese Zahlen kaum missverständlich.
Der vielerorts geforderte Rückzug des Staates läuft letztlich immer auf die Gängelung des öffentlichen Lebens durch klanartige Strukturen hinaus.
Doch Organisationen wie "La Santa" haben sich auch in Geheimlogen engagiert und suchten dort Kontakt mit Wirtschaft, Politik und sogar den Geheimdiensten. Die Führungszirkel der Mafia verstehen sich offenbar als neues wirtschaftspolitisches Projekt, das "unverzichtbare Dienstleistungen" bereithält. [arte 2017]
Es heißt, die Mafia habe ihre Aktivitäten an die moderne Wirtschaft angeglichen, in Wahrheit beruhen sie aber auf einem viel älteren Konzept - der Usurpation aller gesellschaftlichen Ressourcen!
Wer sich dem Klientelismus nicht unterwirft, verliert oft seine gesellschaftliche Stellung - allein schon dadurch, dass die italienischen Paten einen beträchtlichen Teil des Berufslebens kontrollieren.
Dank der Ausdünstungen des Verbrechens habe ich mir bereits am ersten Tag in Italien einen Atemwegs-Kollaps zugezogen, der mich während meines gesamten Aufenthaltes und bis heute nicht wieder verlassen hat. -
Ich hatte allerdings auch eine Wildschwein-Salami aus dem italienischen Supermarkt zu mir genommen. Bei dem, was ich später erfahren habe, dürfte der Verzehr von Wild in Italien der blanke Selbstmord sein.
Der Fall der mit geradezu aberwitziger Brutalität in Italien durchgeführten illegalen Giftmüllentsorgung zeigt die enge Verstrickung der organisierten Kriminalität mit einer absolut menschenverachtenden Ideologie, die den qualvollen Tod großer Bevölkerungsteile für die eigenen Interessen in Kauf nimmt oder zum Zweck der Einschüchterung vorsieht.
Dieser Fall zeigt, dass solche Eigeninteressen die breite Bevölkerung nicht nur als Kollateralschaden tangieren, sondern sich regelmäßig direkt gegen diese richten.
Clans wie die Casalesi schafften es unter den Augen der Anwohner und der Institutionen, beispielsweise das Küstenland um Neapel, die 'Campania felix', innerhalb weniger Jahre in eine Giftmüll-Deponie zu verwandeln [Pfeiffer 2014].
Die Geschehnisse in dieser dichtbesiedelten Agrarlandschaft stellen ein Modell für das Weltgeschehen dar: die gefährlichsten Campanier verpesten ihre Umwelt und vergiften ihre Nachbarn, andere Campanier verschließen ihre Augen dafür, weitere Campanier (vielleicht sind es ja nur die Handlanger der Urheber) sterben an den Giften, die übrigen Campanier weigern sich, eine Lösung für das Problem zu finden.
Wie in Neapel gibt es auch in Kalabrien nach illegaler Lagerung von Giftmüll Siedlungen, deren Bewohner zu hohen Anteilen (mehr als die Hälfte der Todesfälle) verschiedenen Krebsformen zum Opfer fallen (Küstenorte wie Africo Nuovo am Fuß des Aspromonte).
Hier besteht offenbar sogar der begründete Verdacht, dass die Ursache dafür von der Ndrangheta entsorgte radioaktive Stoffe sind [arte 2017].
Die verschiedensten Mafia-Organisationen dienten sich in der ganzen EU großen Unternehmen als Entsorgungs-Dienstleister an.
Eine Entsorgungsmethode der Mafia soll zum Beispiel gewesen sein, Tankwagen mit giftigen Flüssigkeiten mit leicht geöffnetem Ablasshahn durch die Gegend zu kutschieren [Pfeiffer 2014].
Damit unterscheidet sie sich natürlich nur graduell von der Autoindustrie, die den verbotenen Stickoxid-Ablass ihrer Dieselfahrzeuge über eine Software justiert.
Doch ist die Giftigkeit der Verbrecherorganisationen überlassenen Stoffe noch extremer als es die gewöhnlichen Hinterlassenschaften des Automobilismus sind.
Die ersten illegalen Transporte waren "Chemikalien aus den Gerbereien von Florenz, Lucca, Prato, Viareggio und Santa Croce sull'Arno" [Pfeiffer 2014]. Meine geradezu lebensbedrohliche Konfrontation mit der Luft von Florenz zwingt mich zu der Annahme, dass sich die hiesigen Unternehmer inzwischen wieder auf regionale Entsorgung besonnen haben.
Über die Schiene des von Mafia-Familien kontrollierten Baugeschäftes wurde extrem gefährlicher Giftmüll beim Straßenbau überteert, im Untergrund oder im Keller von Hausbauten entsorgt oder den Baustoffen beigemischt [Pfeiffer 2014].
Zu denken geben sollte dabei der gezielt terroristische Anstrich dieser Aktivitäten nach Art eines schmutzigen Krieges, da die illegalen Entsorger Wohngebiete, landwirtschaftliche Nutzflächen, Touristenstrände, grundwasserführende Gewässerbetten, Naturschutzgebiete, das Mittelmeer und seine Häfen, somit die sensibelsten Umweltbereiche zur Deponierung giftiger Stoffe missbrauchen.
Auch die Mittelmeer-Schifffahrt selbst scheint im höchsten Grade kriminell unterwandert zu sein.
Die Angaben von Mafia-Kronzeugen in diesem Zusammenhang, insbesondere die des Francesco Fonti zu zahlreichen im Mittelmeer versenkten Schiffen mit radioaktivem Abfall, werden zwar im Internet als zumindest teilweise unglaubwürdig hingestellt. Das könnte aber auch daran liegen, dass die für die Nachprüfung und Kontrolle verantwortlichen Institutionen vollständig von der kriminellen Schattenwirtschaft unterwandert sind.
Die Aussagen des Kronzeugen Carmine Schiavone von 1997 wurden 16 Jahre lang unter Verschluss gehalten.
Andererseits muss man sich ja wirklich fragen, welchen Gewinn selbst eine kriminelle Organisation darin sehen könnte, sich ins eigene Bett zu scheißen.
Ein wirklich verstörender Aspekt ist dabei, dass die Giftmüll-Entsorgung in der 'Campania felix' seit mehr als einem viertel Jahrhundert mitten im Gemüsegarten Italiens geschehen konnte.
Das organisierte Verbrechen agierte ungeniert wie ein militärisch-industrieller Komplex.
Die außergewöhnliche Häufung von Krebsfällen "zwischen Acerra, Nola und Marigliano" nordöstlich von Neapel ist international bekannt. Beispielsweise gingen in Acerra auch tausende von Schafen ein.
Die Mafiosi sollen Giftstoffe sogar unter Düngemittel gemischt und "für wenig Geld an die Bauern abgegeben" haben [Pfeiffer 2014].
Ein Sozialarbeiter berichtet: "Viele Bauern aus der Region haben uns erzählt, dass sie schon in den 70ern von der Camorra gezwungen wurden, Industrieschlämme auf ihre Felder zu kippen – angeblich als neues Düngemittel .." [Kerner 2013]
Anscheinend wurden in Campanien nicht einmal diejenigen landwirtschaftlichen Produkte, die dem täglich abgeladenen illegalen Müll oder seinem Rauch ausgesetzt waren, auf Gifte untersucht. Und die campanischen Bauern scheuten sich nicht, ihre Ware in die ganze Welt zu verkaufen.
Angeblich organisierte die Mafia den Verkauf dieser Agrarprodukte zu Dumpingpreisen an die Verarbeitungsindustrie [Kerner 2013].
Traditionell war die Mafia schon immer sehr stark in die Agrarwirtschaft involviert. Sie kontrolliert aber auch große Teile des Groß- und Einzelhandels und kann daher für ihre Klientel den Vertrieb eines jeden Agrarproduktes durchsetzen! - Vielleicht demnächst auch in Ihrem Bioladen.
Sollte es nicht zu den Aufgaben der Exekutive gehören, ganz offensichtliche Umweltdelikte von sich aus zu verfolgen, und nicht erst nach journalistischer Investigation oder nach verzweifelten Anwohnerprotesten?
Erst nach einer großen Demonstration am 16.11.2013 ließ sich der italienische Staat zu einigen Maßnahmen herab - mehr als zwanzig Jahre nach den ersten Ermittlungen.
Im 21. Jh. endlich wurde die illegale Verbrennung von Müll zur Straftat erklärt. Und die campanische Agrarlandschaft soll endlich auf giftige Rückstände untersucht werden.
Für die dort notwendigen Sanierungsmaßnahmen wurde sogar die stolze Summe von 900 Mio. € in Aussicht gestellt. Ein solcher Betrag wird aber auch die Interessen der Klans wecken, die im Zusammenhang mit ihrer Müllentsorgung bereits einen Teil der europäischen Umweltbranche unter ihre Kontrolle gebracht haben.
Hans Pfeiffer vermutet, dass die Mafia dabei im Einverständnis mit gewissen politischen Kreisen handelte, um die Wirtschaft Norditaliens und einige europäische Unternehmen international konkurrenzfähig zu machen.
Mancherorts wird Wirtschaft und Staat die Entsorgung des von ihnen zur Begeisterung ihrer Wähler produzierten Mülls zu teuer. Ähnliches wird aus Russland berichtet.
Die italienische Kultur ist scheinbar dank ihrer Unterwanderung durch die Mafia einzigartig. Es gibt aber andere Staaten, die gar keine Mafia brauchen, weil ihre Staatsdoktrin selber mafiös ist. Man denke nur an die Macht des Unternehmertums in den USA und an die Verheerungen, die die Firma Monsanto in beiden Amerikas angerichtet hat.
Übrigens scheint die Terrorisierung der Bevölkerung durch Kontrolle der Entsorgung bzw. Nicht-Entsorgung von Müll keine Erfindung der Casalesis zu sein, sondern bereits in der Vorkriegszeit durch die New Yorker Mafia praktiziert worden zu sein.
H.N. Hutchinson et al.: The Living Races of Mankind. London, um 1900.
Regina Kerner: Gemüse vom Giftmüllberg. FR, am 17.11.2013.
Hans N. Pfeiffer: Die Giftmüll-Mafia - Europas ökologischer Selbstmord. Berlin, 2014.
Jenny Perelli: Zufriedenheitsstudie in Italien - Friede, Freude, Eierkuchen. TELEPOLIS, am 04.12.2016 [-> http://www.heise.de/-3538369].
arte-Dokumentation "Das Gift der Mafia", 24. Okt. 2017