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Selbstversorgung, Marktwirtschaft, Supermarkt ...




"The Persistence of Subsistence Agriculture" von Tony Waters

Fortsetzung ...





Tony Waters thematisiert in seinem Buch "The Persistence of Subsistence Agriculture" die sogenannten 'Sutherland Clearances' am Anfang des 19. Jahrhunderts, ohne auf die Lebensumstände der Betroffenen selbst näher einzugehen. Sie erscheinen als gestalt- und willenlose Masse, deren Schicksal völlig von den ökonomischen Entscheidungen adeliger Grundherren und des britischen Geldadels abhängt.



Die Vertreibung der Bauern des schottischen Hochlandes (auch als 'Highland Clearances' bekannt)


Glanzlicht des Buches ist vielleicht der Bericht über gewisse Vorgänge im Schottland der frühen Neuzeit.

Im schottischen Tiefland waren zunächst die dänischen Eroberer und dann der englische Feudalismus schon früh zur Vorherrschaft gelangt.

Dagegen waren die Highlands ein Rückzugsgebiet der Gälen und noch mehr oder weniger in der Hand von bäuerlichen Gemeinschaften, die das sogenannte 'run-rig'-System betrieben, indem sie sich ähnlich wie auch im vorneuzeitlichen Deutschland über Nutzungsarten und Rotationen des Agrarlandes abstimmten.


Offenbar hatten in diesem Teil Schottlands noch Familien-Clans eine bestimmende Bedeutung. Diese hatten sich allerdings irgendwann ebenfalls feudalherrschaftlich organisiert und zuletzt einen gemeinsamen König gewählt.
Die einzelnen Clans organisierten sogar ihre Selbstverteidigung und bauten Burgen oder Befestigungsanlagen ("built in the same manner as the Great Pyramids of Egypt, through labour corvee placed on the members of the clan ... during idle points in the agricultural cycle").

Die Gesellschaft der Highlander bestand also nicht mehr aus echten Selbstversorgern, sondern man arbeitete zum Nutzen und Frommen eines Clans.


Auf der Webseite 'www.electricscotland.com' findet sich eine sozusagen  "amtliche Karte" dieser Clans , wie sie vom ersten Parlament der Schotten veröffentlicht wurde (außerdem eine Strichzeichnung zur Abgrenzung der Highlands von den Lowlands).




Schottland war auch die Heimat des Adam Smith, des Vaters der Nationalökonomie und gleichzeitig Sprachrohr der "Improvement-Bewegung" adeliger und nicht-adeliger Gutsherren, die mit aufklärerischer Rhetorik ökonomischen Fortschritt schaffen wollten. Die Highlands sollten riesigen Schafherden überlassen, die kleinbäuerlichen Bewohner dagegen in Städte umgesiedelt werden, um Lohnarbeit zu verrichten.

Was Adam Smith in seinem Buch "The Wealth of Nations", der Lobpreisung rationeller Arbeitsteilung, nicht erwähnt habe, sei, dass die unfreiwilligen Lohnarbeiter der industriellen Revolution zuvor von ihren Hofstellen vertrieben werden mussten.

In Nord-Schottland stand am Beginn der Entwicklung zur neuzeitlichen Marktwirtschaft die Unterjochung unter die Zentralgewalt in London: die Hochland-Clans unterstützten im Gegensatz zur städtischen Händler-Schicht den Thronanwärter "Bonnie" Prince Charles (Stuart) und wurden 1746 besiegt. Daraufhin konnte sich die Krone ihre Ländereien aneignen und willfährige Einzelpersonen und Clans wie die Sutherlands mit ihnen belehnen. Gleichzeitig wurden die Traditionen Schottlands und die gälische Sprache unterdrückt.

Die neuen Grundherren vertrieben im Laufe der Zeit oft 95 % der Bevölkerung und zerstörten ihre Wohnstätten. Auf diese Weise wurden viele Hunderttausende, die integriert waren in eine ländliche Gesellschaft, zu recht- und landlosen Arbeitssklaven ohne jede wirtschaftliche Perspektive.
Ein großer Teil dieser Schotten zog die Auswanderung nach Amerika, aber auch Neuseeland, Südafrika usw. vor.


Als Paradebeispiel dieser Vorgänge werden die "Sutherland Clearances" beschrieben.

Zwischen 1800 und 1820 beendete die erbliche Countess of Sutherland systematisch die Pachtverhältnisse von vielen tausend Bauern ihrer Ländereien; sie wurden durch eine Handvoll englischer Schafhirten ersetzt.

Der Manager der Herzogin Patrick Sellar stieß bei dieser ländlichen Bevölkerung auf Widerstand, den er mit dem der "Wilden" in Amerika verglich, und den er mit Hilfe des englischen Militärs zu brechen wusste, vor allem durch die systematische Zerstörung der Bauernhäuser.


Die Herzogin habe beträchtliche Summen investiert, um die Bauern in neue Dörfer an der Küste umzusiedeln und eine Fischerei aufzubauen - Hering erzielte zu dieser Zeit gute Preise.

Insofern gab es also angeblich Bemühungen, eine ökonomische Basis für die Bevölkerung aufzubauen, die vielleicht im Hochland nicht mehr bestand. Doch wahrscheinlich täuscht der oberflächliche Eindruck, dass die Highland-Bauern ein elendes Leben führen mussten. Die milden Winter und die hohe Luftfeuchtigkeit sorgen in Schottland für überdurchschnttliche Erträge nicht nur an Gras, sondern auch an Getreide.

Auf mich machen diese Investitionen der Herzogin eher den Eindruck einer Alibi-Aktion. Und die Preise sowohl für Hering als auch für Wolle brachen schon ab 1820 zusammen. Infolgedessen mussten in den 1830er Jahren sehr viele ehemalige Bewohner von Sutherlandshire nach Amerika auswandern.

Auf jeden Fall ist sicher, dass hier, wie es so oft geschieht, Entscheidungen Einzelner über die Köpfe von vielen Tausenden getroffen wurden. In jenem Falle ließen sie sich sinnfällig mit der neuen ökonomischen Wissenschaft rechtfertigen ... Niemanden interessierte der Willen einer tief eingewurzelten Landbevölkerung, die möglicherweise auch eine angeborene Abneigung gegen ein Leben als Küstenfischer gehabt haben könnte ...


Schon Karl Marx hat zu diesem Thema im März 1853 in "The People's Paper" einen auf den 21.1.1853 datierten Artikel veröffentlicht, der erfreulicherweise in diesem Buch vollständig abgedruckt wird.

Marx sieht das schottische Clansystem auf einer Entwicklungsstufe vor der des Feudalismus stehend: das Land gehörte den Clan-"Familien", nicht den Clan-Chefs. Es wurde nach militärischer Rangfolge aufgeteilt, diese Parzellen blieben aber über alle Generationen in der Hand derselben Sippe. Marx preist die Streitbarkeit der Sutherlander, wenn es um Hilfeleistungen für die Clanchefs bei der Verteidigung nach außen ging, so auch gegen die Dänen. - Erst unter Londoner Zentralgewalt entstand ein spürbares Abgabensystem.

Marx beziffert die Transaktion der Countess genauer, indem er alle Beschönigungen der Lehrbuch-Ökonomen weglässt:
Die Duchess habe auf unrechtmäßige Weise 794000 acres [1 acre = ca. 2,5 ha] Clan-Land an sich gerrissen, indem sie 3000 Familien mit Hilfe des englischen Militärs vertrieb. 6000 acres ödes Land an der Küste habe sie zu einem relativ günstigen Preis an diese Familien zu ihrer Selbstversorgung verkauft [also 0,76 % des Clan-Landes]. Auf diesem Wege konnten 15000 Gälen durch 131000 Schafe ersetzt werden, die der Herzogin zweifellos ein höheres Einkommen einbrachten.


Auf der Insel Skye östlich des schottischen Festlands gingen wenig später die Clanchefs bankrott, weil sie ihre Bauern während Hungersnöten mit Lebensmitteln versorgten.
Dasselbe Schicksal mag vielleicht auch den Sutherland-Clan bedroht haben, den größten Landbesitzer Großbritanniens, dessen Bauern-Bevölkerung stark anstieg, obgleich das ackerfähige Land angeblich nur 1 % der Fläche ausmachte.

Auch auf Skye wurde das Land zwar wie im Hochland noch gemeinschaftlich im 'run-rig'-System bewirtschaftet. Die Bevölkerung konnte aber auf ein Zusatzeinkommen aus Kelp zählen; die Asche der Alge war am Anfang des 19. Jh.s für die Seifenherstellung stark nachgefragt. Als diese Alkalien aus indischen Salzpflanzen gewonnen wurden, fielen die Zusatzeinkommen der Bewohner von Skye weg. In den 1830er und 40er Jahren kam es daher zu Hungersnöten.
Der Clanchef MacLeod musste wegen der von ihm erbrachten Hilfeleistungen seine Besitzungen an Gläubiger verkaufen. Diese waren es dann, die die Bewohner vertrieben, um Schafe zu züchten; es ist die Rede von 7000 Familien oder 35000 Personen in den Jahren 1840 - 83.


Ein Gesetz des Inhaltes, dass ansässige Bauern nicht so ohne weiteres vertrieben werden dürfen - der "Crofters Act" - wurde natürlich erst Generationen später (1886) erlassen.



Die Herzogin von Sutherland scheint bis heute eine der meistgehassten Persönlichkeiten der Weltgeschichte zu sein, wie man der  Webseite 'www.highlandclearances.info'  entnehmen kann.

Noch mehr  Lesestoff über die Highland Clearances  findet man in einem weiteren Verzeichnis von 'www.electricscotland.com'.





©  Stephan Theodor Hahn, Bad Breisig, am 14.1.2010





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