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Selbstversorgung, Marktwirtschaft, Supermarkt ...




"The Persistence of Subsistence Agriculture" von Tony Waters

Kapitalistische Marktwirtschaft als Dogma
Theoretischer Hintergrund
Die Irrtümer des Buches
Subsistenz und Entwicklungspolitik

Die Vertreibung der Bauern des schottischen Hochlandes




Angesichts der immer gemeingefährlicher werdenden Konzepte zur Regulierung der Gesellschaft durch den Markt muss sich notgedrungen ein nicht unbedeutender Teil dieser Gesellschaft ähnlich wie der Verfasser dieser Zeilen noch intensiver mit Fragen der Selbsthilfe und auch Selbstversorgung befassen ...

Als rettender Strohhalm bietet sich vielleicht ein Buch an wie "Tony Waters: The Persistence of Subsistence Agriculture - Beneath the Level of the Marketplace. Lanham, 2007."
Doch die Wahl des Titels dürfte nur den einen Zweck gehabt haben, potentielle Leser durch ein Reizthema anzulocken. Nach ziemlich qualvoller Lektüre kann ich sagen, der horrende Preis des Buches steht in keinem Verhältnis zu seinem kläglichen Inhalt.
Das Buch bietet keinerlei Hilfe für die Selbstversorgung, die ja oft genug mit bloßen Fingern und ohne einen Faden Stoff auf dem Leib erfolgen muss - im Gegenteil !




Kritik des Buches "The Persistence of Subsistence Agriculture" von Tony Waters


Kapitalistische Marktwirtschaft als Dogma
Theoretischer Hintergrund
Die Irrtümer des Buches
Subsistenz und Entwicklungspolitik


"... weil fast durchgängig die Liberalen das Elend der Ackerbaudistrikte hervorzuheben, das der Fabrikdistrikte aber wegzuleugnen suchen,  
während umgekehrt die Konservativen die Not der Fabrikdistrikte anerkennen, aber von der der Ackerbaugegenden nichts wissen wollen."
Friedrich Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse in England  


Insgesamt ist der Text in einem sachlichen und zu Anfang auch recht sympathischen Stil geschrieben, der allerdings an allzu häufigen didaktischen Wiederholungen leidet.

Dieser Kindergarten-Didaktik, die zum Beispiel in wenig aussagefähigen Stichworten oder plakativen Personifikationen besteht, um die sich ein Text rankt, begegnet man oft in amerikanischen Sachbüchern. In dem vorliegenden wird immer wieder das archetypische Leitbild eines Daniel Boone beschworen, an dessen historischer Persönlichkeit die Chancen einer frühen Wildwest-Ökonomie vorübergingen.

Schon aus den einleitenden ersten beiden Kapiteln ist zu ersehen, dass der Text unzureichend strukturiert ist. Die Argumente mögen zwar treffen, verlaufen aber nicht zielgerichtet, widersprechen sich sogar häufig, woraus ein äußerster Mangel an Lösungsansätzen entsteht.


Das dritte Kapitel befasst sich mit der hier später noch behandelten  Transformation der archaischen Hochland-Gesellschaft Schottlands  in einen weltmarktorientierten Wirtschaftsraum.

In den folgenden beiden Kapiteln geht es in die frühe USA bis zur Zeit des 'civil war' - eine nicht sehr erquickliche Lektüre, zumal eine häufige Wiederholung ähnlicher oder identischer Inhalte zu beobachten ist. Zuerst sei Nordamerika eine Selbstversorger-Gesellschaft gewesen und lediglich die von Europa beeinflussten Küstengebiete marktwirtschaftlich orientiert ...

Im sechsten und siebten Kapitel befasst sich der Autor eingehender mit Tansania, wobei er eine ganze Reihe interessanter Aspekte über die Geschichte, Humanökologie und die Ernährungsgrundlagen Ostafrikas zur Diskussion stellt.
Als ein wichtiger Aspekt stellt sich aber heraus, dass die Weltmarktpolitik der arabischen Sklavenhändler und der deutschen und britischen Kolonialherren nicht etwa zu Wohlstand und einer Verbesserung der Lebensumstände führte, sondern zu einem massiven Bevölkerungsrückgang infolge von blutigen Kriegen, Krankheiten und Viehseuchen, die die Lebensgrundlagen der Hirtenvölker vernichteten. - Hohe Geburtenüberschüsse nach der Unabhängigkeit führten dagegen dazu, dass die Bevölkerung in Tansania von 9 Mio. auf 35 Mio. im Jahr 2000 stieg.




Kapitalistische Marktwirtschaft als Dogma

In einem dritten Teil werden zuletzt unbewiesene ökonomische Theorien mit derselben erbärmlichen und unerbittlichen Penetranz wiederholt, wie TV-Werbekanäle billigen Talmi anbieten. Der Glauben an die Potentiale eines "anonymen und sich selbst regulierenden Marktes", der angeblich genau die Bedürfnisse bedient, die in einer Gesellschaft entstehen, muss nicht in fünfzig ansonsten nichtssagenden Seiten beteuert werden.

Vielleicht soll dieser Erguss den die Hochschule besuchenden Nachwuchs der Nomenklatura zum Nachdenken anregen, wie an die Filetstücke der Wirtschaft zu gelangen ist, - einen allgemeinen praktischen Nutzen hat er nicht.
Was soll man von Konstruktionen aus berufenem Mund halten, dass die Ökonomie nicht ein Mittel zur Selbsterhaltung sei, sondern die Selbsterhaltung der Ökonomie untergeordnet werden müsse.
Was soll man von der Überlegung halten, dass Gesundheitsprogramme ein Hemmschuh des Entwicklungsfortschritts sein können, wenn sie zugleich zu starkem Bevölkerungswachstum führen.


In diesem dritten Teil entpuppt sich das Stichwort von der "persistence of subsistence agriculture" gar als das in langatmigem Diskurs bloßgestellte Feindbild des Autors; auch der Untertitel "Beneath the Level of the Marketplace" soll offenbar das Äußerste an Geringschätzung ausdrücken.

Die neue Ökonomie müsse Subsistenz-Gesellschaften ersetzen, da diese nur ihre eigenen Bedürfnisse kennen und meistern. Der Autor versteigt sich sogar zu der Behauptung, die beiden Systeme Selbstversorgung und Marktwirtschaft seien miteinander nicht kompatibel.

Das marktwirtschaftliche System funktioniere nur auf Basis der Nachfrage, nicht auf Basis menschlicher Grundbedürfnisse. Die Welt der persönlichen sozialen Bindungen müsse zerstört werden und durch marktwirtschaftliche Bindungen ersetzt werden.

Der Autor vertritt die Meinung, allein Gewinnsucht und Handel als die von den Genien der ökonomischen Wissenschaft erkannten unverbrüchlichen Prinzipien der Wirtschaft hätten die moderne Welt des Wohlstandes für Millionen von Menschen geschaffen, welche auf andere Art nicht einmal überlebt hätten. Und er bekennt einmal, dass dieses merkantilistische System einen größeren Einfluss auf seine Welt habe als familiäre Beziehungen.

Immerhin zweifele auch ich selber gar nicht daran, dass sogar in der Realität der modernen westlichen Gesellschaften ein Markt für gesellschaftliche Bedürfnisse wie die Aufrechterhaltung der Infrastrukturen, Krankenpflege, Sozialarbeit usw. entstanden ist, wenn er im Vergleich zu manchen anderen Branchen auch an chronischer Unterfinanzierung leidet ...

Tony Waters scheint dagegen auf dem anderen Auge blind zu sein. Dass die Marktwirtschaft unter Selbstversorgern ein uralter Hut ist, zumindest was den Tauschhandel angeht, scheint er nicht zu wissen. Er sieht nicht, dass auch Subsistenz-Gesellschaften einen Lohn der Mühe und ein unternehmerisches Denken und Handeln kennen, dass Kleinbetriebe intensiver und damit effektiver arbeiten als Großbetriebe ...

Und er sieht nicht, dass anonyme und hirnlose Spezialisierungen wie beispielsweise die Börsenspekulation keineswegs immer ein produktives Potential besitzen.


Hier wird durch Belanglosigkeiten verdrängt, dass die apokalyptischen Reiter nicht nur die Selbstversorger, sondern ebenso die heile Welt der Marktwirtschaft bedrohen.

Die Sorglosigkeit im Umgang mit den Ressourcen selbst der allernächsten Zukunft und die mehr oder weniger freiwilligen Abhängigkeiten in den sozialen Beziehungen sogenannter rückständiger Gesellschaften kehren in noch verstärkter Form auch in der Marktwirtschaft wieder.
Offensichtlich werden die archaischen Gefahren Krankheit, Ernteverluste, Armut heute durch die Drohungen der Makroökonomie bestenfalls abgelöst, wenn nicht noch zusätzlich verstärkt.

Die Marktwirtschaft, wie sie sich gegenwärtig darstellt, ist keineswegs, wie der Autor behauptet, die alleinige Lösung des schon im Neolithikum entstandenen Problems, dass die menschliche Entwicklung nur begrenzten Ressourcen gegenüber steht. Womöglich liegt es sogar genau daran, dass die am vollkommensten dem marktwirtschaftlichen Theorem entsprechenden Gesellschaften mit einer schrumpfenden Bevölkerung zu kämpfen haben.


Der Leser kommt bei der Lektüre zu keinem Schluss: soll der sattsam bekannte und nicht enden wollende Sermon von der Allmacht des Marktes provokant sein, soll er einen politisch vorgegebenen Lehrstoff erfüllen, handelt es sich um Satire oder ist der Autor schizophren wie viele seiner Formulierungen? Irgendwann schiebt er die Verantwortung für diesen Vortrag im Sinne einer rein marktwirtschaftlich orientierten  Entwicklungspolitik  sogar auf "seine Freunde, die Entwicklungspolitiker", wie er es formuliert - ohne diese genauer zu benennen.

Unter Akademikern scheint man weltweit davon auszugehen, dass der Weltmarkt und die Marktwirtschaft nur gutes bringen können. Auch der Autor lässt durchblicken, dass er die Einrichtung von Drive-In-Supermärkten über alles schätzt. Er scheint völlig verfangen zu sein in der verrückten Welt des Überangebots, die für ihn Reichtum bedeutet, für mich dagegen eher Müll.

Die letzte Instanz, die in der kapitalistischen Marktwirtschaft über Leben oder Tod entscheide, sei Wal-Mart; dieser Gipfel der Höherentwicklung wäge genau ab, ob ein Standort genug Jobs und Einkommen aufweise, um dort eine Filiale aufzumachen.
Gezeigt wird das an einem treffenden Beispiel - Susanville, California mit 13500 Einwohnern, von denen 34 % Gefängnissinsassen sind; an diesen verdienen die übrigen Bewohner aber so gut, dass sie damit ihren Wal-Mart für die Selbstversorgung unterhalten können ...




Theoretischer Hintergrund

Tony Waters bezieht sich immer wieder, aber nur vage auf zwei Klassiker: auf Adam Smith, der eine Nationalökonomie entwickelte, und auf Max Weber, der die Grundlagen des Kapitalismus in einer protestantischen Ethik sah.

Doch im Grunde bietet sein Buch nicht mehr als eine Anpreisung des Merkantilismus als Gesellschaftsmodell. Dabei sah auch Adam Smith als Grundlage des Wohlstands weniger den Geldumlauf, wie es der Merkantilismus annahm, sondern die produktive Arbeit [ --> Susanne Kollmann in: Beck/ Schröder (Hg.): Handbuch der britischen Kulturgeschichte. Paderborn, 2006. ] - somit nicht nur den Kauf und Verkauf von Lohnarbeit, sondern auch vorausplanende geistige Arbeit.


Eigentlich beruht das Buch auf einem interessanten Ansatz, der Vertreibung einer Minderheit, der gälischen Schotten des Hochlands im Namen der Aufklärung, die in den schottischen Lowlands ein geistiges Zentrum besaß. - Doch leider gutheißt der Autor diesen Vorgang offenbar und sieht ihn als Modell für die Entwicklungspolitik in Ländern wie Tansania!

Die Heranziehung des schottischen Klassikers Adam Smith für eine moderne Entwicklungspolitik in ganz anderen Kulturen ist ohnehin wenig sinnvoll, aber offenbar weiß das der Autor selbst, denn in einer das Buch abschließenden, ziemlich merkwürdigen Merkliste wird Adam Smith richtiggestellt - das menschliche Streben gehe nicht zwangsläufig dahin, persönliche Vorteile durch Handelstätigkeit und die Akkumulation von Kapital zu erzielen, es gebe auch Gesellschaften, deren Bestrebungen in andere Richtungen gehen. Viele Völker sehen den Sinn ihres Lebens eher in einer weit verzweigten Sippe - zwar auch eine Akkumulation, aber nicht ganz so unsinnig wie die von Vieh und Autos!
Irgendwo in diesem Buch werden auch die Gesellschaften des Pazifischen Ozeans bemüht, die zeigen, dass eine gesellschaftliche Stellung nicht allein durch die Bedienung oder Beherrschung eines Marktes erreicht werden kann, sondern auch durch persönliche Beziehungen, ausgedrückt in Geschenken (- man könnte hieraus allerdings auch den in vielen Gesellschaften verbreiteten Klientelismus ableiten).


Die schottische Aufklärung ('scottish enlightment'), deren bekanntester Vertreter eben Adam Smith war, mag ihre Ursprünge auch im puritanischen Glauben gehabt haben, während sich in abgelegenen Gebieten Schottlands noch der Katholizismus erhalten hatte. Doch sah man unter Puritanern offenbar genauso wie unter den Papisten des Festlandes im wirtschaftlichen Erfolg auch ein Zeichen göttlicher Erwähltheit, darum setzte jedermann große Hoffnungen in ein 'self-improvement'.

Ähnlich wie heute wieder der sogenannte "Wandel" durch wissenschaftliche Makroökonomie sei im England des 18. Jh.s 'Improvement' durch wissenschaftliche Landwirtschaft und Produktion überhaupt die Losung der "Eliten" gewesen. Die von Adam Smith gepriesenen Landvermesser schufen geometrisch eingezäunte Schafweiden, um die heillose Kleinbauern-Wirtschaft auf den Müllhaufen der Geschichte zu verweisen, und die hier genutzten robusten Highland-Schafe wurden durch die Cheviot-Rasse mit üppigerem Woll-Vlies ersetzt.

Damals und heute hatte man Visionen von der Vielfalt an Spezialisierungen, die die Produktivität und den Wohlstand steigern werde. Es wird aber nicht bedacht, dass ein Übermaß an Arbeitsteilung eher die Unproduktivität steigert. Der Autor erwähnt die Montage von Hamburgern und Big Macs, die nach demselben Prinzip erfolgt wie die Montage von Fertighäusern.


Somit bleibt noch anzumerken, dass durch industrielle Steigerung der Produktivität zumindest auch das Maß der eigenen Fähigkeiten eingeschränkt wird:

Die vorindustriellen Webstühle bzw. die Haushalte, die in Schottland das Weben als Handwerk betrieben, verdoppelten sich in 100 Jahren bis 1840 auf knapp 85000. Laut Friedrich Engels' "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" hatten die Haus-Weber ein gutes Einkommen und blieben dank ihrer Nebenerwerbs-Landwirtschaft gesund.
Als dann Fabriken mit Webmaschinen entstanden, verloren plötzlich die meisten dieser Haushalte ihr Einkommen und mussten in städtischen Textilfabriken versuchen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, wo sie um einen menschenwürdigen Lohn, von den Hausbesitzern um eine menschenwürdige Unterkunft und von den Händlern um menschenwürdige Lebensmittel (Stichwort Gammelfleisch) betrogen wurden.

Auf St. Kilda, einer der abegelegensten Inseln Schotlands, verarbeiteten die Männer jedoch noch zu Beginn des 20.Jh.s ihre Schafwolle im Herbst und Winter selber zu Tweed. Für die Selbstversorgung mit Kleidung war dadurch gesorgt, doch das aus dieser Heimindustrie gewonnene Einkommen war wegen der industriellen Konkurrenz nur noch so geringfügig, dass die Bewohner es wenig später vorzogen, das Inselleben ganz aufzugeben und auf dem Festland Arbeit zu suchen.


In unserer Gesellschaft ist im letzten Jahrhundert zweifellos ein großes Maß an Innovation und Wohlstand erreicht worden. Am Anfang der Industrialisierung standen aber die Entfesselung des Freien Marktes, Entwurzelung, Armut, Krankheit und Tod, denen sich die Landbevölkerung im besten Fall durch Auswanderung nach Amerika entziehen konnte. Den Bewohnern der heutigen krisengeschüttelten Schwellen- und Entwicklungsländer fehlt dieses Ventil!

Die in die Städte flüchteten, erwarteten unsägliche hygienische Zustände: Glasgow war am Anfang des 19. Jh.s völlig Cholera-verseucht.

Bei der Industrialisierung Amerikas begnügten sich erst die durch die Kartoffelfäule aus Irland vertriebenen Menschen mit den dortigen Arbeitsbedingungen; - die sich über den Kontinent verteilenden Selbstversorgungs-Farmer gaben sich für so etwas nicht her!



Die Irrtümer des Buches

Welches sind nun die Schlüsse, die in diesem Buch gezogen werden?

I.
Waters propagiert die "unerbittliche Dominanz des Marktes über die Gesellschaft", eine neuzeitliche Spielart der Autokratie. Aber warum sollte die Gesellschaft eigentlich nicht auch einmal den Markt dominieren?


II.
Der Einbruch der Moderne vertreibe die Menschen vom Land - das ist das einigermaßen realistische Modell, das sich aus diesem Werk herausschälen lässt. Aber es ist ein Negativ-Modell, das es eigentlich zu verbessern gilt!

Am Anfang einer wirtschaftlichen Entwicklung stehe die administrative Aufgabe der Landvermessung ... Grundlage einer florierenden Wirtschaft sei der durch Kataster und Rechtsakt gesicherte Grundbesitz, der den meisten Selbstversorgern fehlt und damit zu ihrem Verhängnis wird.

Wenn man sonst auch nicht viel aus diesem Buch lernen kann, so doch zumindest das eine: die essentielle Bedeutung des Beharrens auf Land- und Menschenrechten oder zumindest auf eigenen Landbesitz.


III.
Ein dritter Punkt, der nur zwischen den Zeilen durchscheint, ist womöglich eine spezifisch angelsächsische Sonderentwicklung, die sowohl auf der britischen Hauptinsel als auch in Nordamerika den bäuerlichen Berufsstand buchstäblich eliminerte.

Nach Ansicht des Autors hat sich die Transformation einer selbstgenügsamen Gesellschaft in eine Marktwirtschaft für Boden, Arbeit und Kapital erstmals in England vollzogen; von den Neuenglandstaaten ausgehend, übertrug sich dieser Prozess auf die USA.

Das marktorientierte Unternehmertum hat den ländlichen Raum in diesen Ländern schon frühzeitig okkupiert. Dieses Trauma treibt den Autor offenbar zur Annahme, dies sei der Grund für den Wohlstand der angelsächsischen Länder gewesen.

Doch ein marktorientiertes Unternehmertum hat es nicht nur schon in der italienischen Renaissance gegeben, sondern auch in Afrika oder im Altertum - beispielsweise bei den durch Seehandel reich gewordenen Phönikern, den Kanaanäern der Bibel !
Der Reichtum der modernen Angelsachsen beruht weniger auf ihren Fortschritten in der Ökonomie, als auf den Ressourcen der immensen Räume, über die sie durch den britischen Kolonialismus und die US-amerikanische Expansion verfügten.



Dieser Text ist kein Ruhmesblatt der Soziologie, dem Lehrfach des Autors: Bei den drei nicht miteinander vergleichbaren Szenarios hätten die Unterschiede detaillierter ausgearbeitet werden müssen anstatt aus ihnen verallgemeinernde und wahrscheinlich falsche Schlüsse zu ziehen.

Ein eminent wichtiger Unterschied besteht darin, dass die Pioniere der jungen USA Nutzungs- und Gewohnheitsrechte legitimieren konnten, was der heutigen Bevölkerung an den Pioniergrenzen Afrikas, Lateinamerikas und Asiens zumeist nicht möglich ist. Wäre die Legitimierung ihrer Bodennutzung nicht der beste Weg zum Wohlstand dieser Bevölkerung?

Tony Waters versteht den Unterschied zwischen Weltmarkt und individuellen Lebensumständen nicht und verwechselt, wie es so oft geschieht, Ökonomie und Soziologie.
Der Zweck der Ökonomie, zu deren Herold er sich macht, ist der Verlust der Freiheit und des Selbstbestimmungsrechtes einfacher Menschen und weniger einfacher Menschen durch "primitive accumulation".

Darauf soll es offenbar hinauslaufen - Marktwirtschaft als Regulierungsinstrument ! Der Markt besteht aber aus verschiedenen Interessengruppen, und zu diesen zählen auch Kleinbauern und Selbstversorger. Einfache Arbeitskräfte und die Menschenrechte haben allerdings gegenüber einer Übermacht von Kapital und Landbesitz einen schweren Stand - gerade auch in unterentwickelten Regionen. Warum nun diese Tatsache beschönigt oder als geniales ökonomisches System gepriesen werden soll, ist mir völlig schleierhaft.




Subsistenz und Entwicklungspolitik

Das Selbstverorger-Dasein und Landleben ist Heile Welt nicht allein in abwertendem Sinne, sondern in der Realität der Akteure der Selbstversorgung auch in positivem Sinne - im heutigen Afrika ebenso wie im Amerika der Pioniere.

Die Produktion der Squatter und Kleinbauern wird von ihnen selbst verzehrt, ohne in den Statistiken oder im BSP aufzutauchen. Eine Steigerung der Produktion hängt hier eher mit einer Bevölkerungszunahme zusammen als mit einer statistisch nachweisbaren Zunahme der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung. Wenn sie nicht für den Export produzieren, hat das den Vorteil, dass sie nicht vom Weltmarkt und seinen virtuellen Krisen abhängig sind.

Die britischen Kolonien seien nur durch die Erhebung von Steuern rentabel gewesen - eine zivilisatorische Errungenschaft, die zumindest in Afrika vorher unbekannt war.
Der einfache Bauer des britischen Weltreichs dachte allerdings gar nicht daran, Einkommen zu erzielen, indem er für den Weltmarkt produziert (- und scheint das in Afrika auch nach der Unabhängigkeit nicht für erstrebenswert zu halten).

Aber es mag zu einer Zwangsvorstellung aller Ökonomen geworden zu sein, durch industrielle Produktion und Welthandel Steueraufkommen schaffen zu müssen.


Tony Waters berichtet von eigenen Erfahrungen in humanitären Projekten im Westen Tansanias, der von Flüchtlingen aus Burundi überschwemmt wurde. Von ihm sind auch eine Reihe von Publikationen erschienen, die sich mit Hilfeleistungen an Hungergebiete befassen.

Die Subsistenz-Bauern Tansanias, des zweitärmsten Landes der Welt, müssen sich bis heute zumeist ganz ohne technologischen Input selbst versorgen, was sie normalerweise auch können, wie an den Geburtenüberschüssen zu sehen ist. Durch exportorientierte Großprojekte wäre dagegen die Nahrungsversorgung der Bevölkerung keineswegs gesichert!

Allerdings hängt Tansania am Tropf internationaler Hilfe. Anstatt mit den regelmäßig vorkommenden Dürren und Ernteausfällen vorausplanend umzugehen, verlasse sich die Landbevölkerung auf Hilfeleistungen (- und die staatliche Administration legitimisiert sich durch dieselben).


Der Autor macht sich ebenso wie der politische Mainstream indirekt zum Fürsprecher ausländischer Investoren, weil traditionelle Wirtschaftsweisen im Sinne des BSP unproduktiv sind. So wird ein Konsens geschaffen, in welchem sich selbst kriminelle Marktakteure des Landes bemächtigen dürfen - mit dem Argument, ihre Aktivitäten seien gewinnbringender als die der vorherigen Bewohner.

Die weit verbreitete Situation, dass wenige Marktakteure dann den Löwenanteil des Landes für sich reklamieren und die Bevölkerung gerade dadurch an der Selbstversorgung hindern, aber keinesfalls eine Marktwirtschaft schaffen - auch nicht für Arbeitsplätze -, scheint seiner soziologischen Beachtung nicht wert zu sein.

Höchst aktuellen Bezug zu diesem Problem hat auch das Phänomen des 'land grabbing' - die Versuche von Unternehmen hochentwickelter Marktwirtschaften, die sich durch die eigene Landwirtschaft nicht mehr selbst versorgen können, Kontrolle über das Agrarland unterentwickelter Länder zu gewinnen.


Immerhin lässt sich der Autor zuweilen in Nebensätzen zu Statements hinreißen, die wie Gnadenakte wirken:
-- da eine weltmarktorientierte moderne Agrarproduktion die Kleinbauern der Dritten Welt von ihrem angestammten Land vertreibe, müsse der Weltmarkt diese Landbevölkerung durch Hungerhilfen subventionieren;
-- um den Wohlstand der Industrieländer zu erreichen, sei für Entwicklungsländer ein sehr langer und mühseliger Prozess vonnöten, der ausgesprochen viele Opfer fordern werde; darum werde die Politik eher darauf abzielen, die traditionellen Gesellschaften zu erhalten als sie zu zerstören.


Angesichts des Szenarios eines Raubbaus in unerschlossenen Weltgegenden zugunsten reicher Länder oder Personen sollte man auch nicht vergessen, dass diese Länder für Ökonomen auch als Zukunftsmärkte interessant sind. Dabei kann man sich auf den historischen Transformationsprozess im Westen berufen: gerade die nicht mehr in einer Subsistenz-Wirtschaft ruhenden Bevölkerungsteile bildeten eines der wichtigsten Marktsegmente der Industrialisierung (und der Bereicherung).


Tony Waters beharrt darauf, dass nur die industrielle Arbeitsteilung in Verdichtungsgebieten wie dem Chicago der 30er Jahre Wohlstand bringe und überantwortet die Selbstversorgung der Landbevölkerung somit, ohne mit der Wimper zu zucken, den Praktiken feudalistischer, oligarchischer, krimineller und neuerdings wieder fremdstaatlicher Großagrarier und Großinvestoren.

Die Probleme der Migranten in Entwicklungsländern, die notgedrungen in ausufernde Städte und Slums driften, werden insofern nur unzureichend angerissen, weil der Autor in ihrem Verhalten die Lösung sieht - den Weg in eine urbane Marktgesellschaft industrieller Arbeitsteilung in weit entfernter Zukunft.

Warum aber nicht anstelle nebulöser Gesellschaftsmodelle jetzt die Initiative einer besitzlosen Landbevölkerung fördern, - vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass urban-kapitalistische Produktionsweisen nicht immer die besseren Ernten bringen !

Statt dessen die sattsam bekannten, wunderbaren Visionen einer Arbeitswelt für Landflüchtige, die Hecken schneiden, als Küchenpersonal arbeiten, putzen und babysitten.





Die Vertreibung der Bauern des schottischen Hochlandes - 'The Highland Clearances'





Thema Umwelt