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Aus der Welt des Totalitarismus







Endlich Krieg!


Formen des Krieges

Die Störung der Friedensordnung im Irak veranlasste Umberto Eco zu Überlegungen über die neuen Formen der Kriegsführung [Eco-Vortrag 2002].
Ein Altkrieg ('paleoguerra') findet zwischen nur zwei feindlichen Parteien statt mit dem Kriegsziel eigener Zugewinne oder der Vermeidung eigener Verluste; für dieses Ziel kann man auch Verbündete oder sogar Neutrale gewinnen.

Umberto Eco behauptet, historisches Modell des Altkrieges sei der allerseits verhöhnte Kreuzzug. Gegen diese Auffassung ist einzuwenden, dass die christlichen Kreuzzüge definitionsgemäß weit außerhalb des heimatlichen Territoriums geführt wurden, dass es sich also keinesfalls um typische Altkriege handelte.

Andererseits ist hervorzuheben, dass Kreuzzüge wahrscheinlich viel häufiger nach innen geführt wurden zur Durchsetzung inadäquater, teilweise weltanschaulicher Interessen; auf diesem Gebiet hat das stalinistische Russland traurige Prominenz erreicht, während das nationalsozialistische Deutschland seine Aggressionen mehr nach außen trug.



Kriegstechniken

Ein Wesen trinkt das Blut des anderen. Der eine nährt sich vom Tod des anderen. Es ist nutzlos, von Humanität zu schwätzen.
A. H. [nach: Vespignani 1976]


Die Anwendung bedeutender Technologien täuscht hegemoniale Stärke vor.

Hitler verstand es, das Schreckbild einer bedrohlichen Militärmacht aufzubauen. Dabei sei seine Rüstung geringer gewesen, als das damalige Ausland und dessen Geheimdienste glaubten. [Lukacs 1980, I-1]

Hitler habe die Höhe seiner Rüstungsausgaben um 100 % übertrieben. Deshalb war das Ausland der Überzeugung, Deutschland müssten die Ressourcen bald ausgehen. [Lukacs 1980, II-1]
Trotz seines fehlenden Zugangs zu Erdöl sei Deutschland mit Hilfe der Produktion von synthetischem Treibstoff über den Krieg gekommen.


Die Erwartungen bezüglich eines zweiten Weltkrieges - "gewaltige Materialschlachten", "Vernichtung ganzer Städte durch massive Luftangriffe schon in den ersten Kriegstagen" - wurden abgewandelt durch die Tatsache, dass dank des Verbrennungsmotors einfach die Landmacht wieder kriegsentscheidend geworden war. Hier hatte die zentraleuropäische Macht Deutschland einen Vorteil gegenüber ihren Nachbarn. Doch seien die Fußtruppen Napoleons sogar noch schneller in Moskau gewesen "als die Vorhuten von Hitlers motorisierten Kolonnen". [Lukacs 1980, II-2]


Die militärische Verdichtung im Frontenkrieg des Ersten Weltkriegs war viel größer als im Zweiten und führte punktuell zu extremen Zerstörungen.

Die Angriffsspitzen Hitlers täuschten schon die Hauptmasse des Heeres vor und konnten damit riesige Truppenteile in Gefangenschaft setzen.

Lukacs behauptet, die nationalsozialistische Kriegsführung sei humaner gewesen als die sich anschließende Gewaltherrschaft der Zivilverwaltung. [Lukacs 1980, II-2]


Diesem Gedanken steht die technische Weiterentwicklung der Waffen entgegen: "Nehmen wir die Explosivgeschosse! Eine einfache Kugel geht glatt durchs Fleisch, und nach vier Wochen steht der Mann wieder im Graben. Diese Explosivgeschosse aber reißen Löcher in den Leib, die den Mann für immer frontuntauglich machen. Damit ist der allgemein gewünschte Zweck erreicht." Eduard Claudius


Auch die gewaltige Aufrüstung der Sowjetunion hatte eine riesige Armee hervorgebracht, "praktisch ohne Möglichkeiten, den Kampf zu beenden" [Lukacs 1980, II-2].


Jahrhunderte lang wurden Hegemonialkriege "durch die Seeherrschaft entschieden", Hitler verfügte aber nur über eine schwache Seemacht. Die englische und französische Marine waren der deutschen mehrfach überlegen und "das Prestige der amerikanischen Seemacht" war noch größer.
[Lukacs 1980, II-2]

Aber die deutsche Landmacht war offensichtlich stark genug, um mit den Westmächten fertig zu werden, während die starken sowjetischen Heere im Gegensatz zu den zaristischen Heeren des Ersten Weltkrieges das eigentliche Problem bildeten; sie banden am Tag der alliierten Invasion vier mal so viele Divisionen wie der Westen.

Stalin warf den Engländern ihre Unfähigkeit vor, als Landmacht gegen Hitler vorzugehen.


Möglicherweise war es die Entstehung der Luftstreitkräfte, die die Seemacht angreifbar und damit wirkungslos machte. Diese konnten als "fliegende Artillerie" ebenso gegen Land- wie gegen Seestreitkräfte eingesetzt werden, aber auch gegen Infrastruktur und Zivilisten.

Der Luftkrieg begann im Sommer 1940 in Frankreich; zunächst bombardierten die deutschen Flieger aber am 10. Mai Freiburg im Breisgau, das sie für Dijon hielten.
Die englischen Luftangriffe der Jahre 1940 - 41 kosteten "mehr englischen Fliegern als deutschen Zivilisten das Leben" und konnten auch der deutschen Rüstungsindustrie keinen Schaden zufügen.
[Lukacs 1980, II-2]

Doch "der erste britische 1000-Bomber-Angriff" am 30./31.5.1942 auf Köln vernichtete die gesamte Innenstadt und machte 45000 Menschen obdachlos [Vespignani 1976].

Die Lufthoheit wenigstens durch Abwehr zu behaupten, ist sehr wichtig. Wenn das Territorium ständigen Luftschlägen ausgesetzt ist wie Deutschland am Ende des Zweiten Weltkriegs, dann bleibt der Bevölkerung keine Perspektive mehr.



Weltkriege und Neukriege

Der Zweite Weltkrieg habe eine Veränderung hervorgebracht, die in früheren Epochen undenkbar gewesen wäre, die "Demokratisierung des Krieges" durch Partisanen und einen bewaffneten Widerstand [Lukacs 1980, II-2].
Hinzu kamen aber auch paramilitärische Verbände, die besonders in Großbritannien ('Home Guards') und der Schweiz ('Ortwehren') für den Fall der Invasion aufgestellt wurden.

Aber auch innerhab der militärischen Ränge gab es eine Demokratisierung: Hitler entwickelte den Standesmilitarismus zum Gesinnungsmilitarismus weiter!

Bereits Ende 1941 waren "in Rußland und in der Ukraine" mehr als 200000 Hilfstruppen (sogenannte 'Hiwis') rekrutiert worden.

Zur Demokratisierung des Krieges gehörte aber auch, dass er endgültig der alleinigen Entscheidungsgewalt sogenannter Souveräne entzogen wurde; eine Völkergemeinschaft als Weltordnung mischte sich ein.



Ein Weltkrieg wird allgemein dadurch negativ interpretiert, dass dieser unfreiwillig alle oder sehr viele Völker in die Kriegsgräuel hineinzieht, ohne dass sie irgendwelche Kriegsziele überhaupt nur anstrebten.

Da der russische Überfall auf die Ukraine ganz gezielt auch ihren Außenhandel über das Schwarze Meer und die internationale Energieversorgung attackiert, ist er gleichzeitig die Anzettelung eines Weltkrieges.


Das ist der negative Aspekt eines Weltkrieges. Doch hatten die beiden Weltkriege des 20. Jh.s auch den positiven Aspekt, durch ein Engagement eigentlich Unbeteiligter (der USA und des Commonwealth) das Völkerrecht oder ganz pragmatisch das militärische Kräftegleichgewicht wiederherzustellen.

Es wäre daher nicht angemessen, diese beiden Weltkriege als ungerechtfertigt darzustellen, denn sie entfalteten sich erst als Gegenkraft zu einer aggressiven nationalistisch-imperialen Macht und Gegenwehr zu ihrer Expansion. Allerdings wurde der Zweite Weltkrieg bereits durch den deutschen Angriff auf die Sowjetunion angezettelt und begann nicht erst mit der aktiven Beteiligung der USA.


Ein wichtiger Aspekt eines Weltkriegs wäre zweifellos, dass ein Großteil der Beteiligten fern vom eigenen Territorium handelt.

Die Ursache eines Weltkrieges könnte auch eine technologische Struktur sein, die weit entfernte Territorien und Völker in Konflikte hineinzieht.
Hier geht es also um Ressourcen! Nicht nur Krieg verbraucht Ressourcen, auch bestimmte Auswüchse der Technologie sind gleichbedeutend mit Krieg.



Neukrieg

Der Neukrieg ('neoguerra') sollte in dem Vortrag von Umberto Eco anhand des Golfkrieges gegen Saddam Hussein definiert werden [Eco-Vortrag 2002].

In Wirklichkeit handelte es sich aber wenigstens beim Ersten Golfkrieg unter dem US-Präsidenten Bush Sr. um den positiven Aspekt eines Weltkrieges zur Wiederherstellung des Völkerrechts und des regionalen Kräftegleichgewichts. Es waren nur seine Kürze und Präzision, die ihn zu einem Neukrieg machten.


In einem Neukrieg seien die Fronten nicht mehr eindeutig. Während der Golfkriege lebten viele Menschen mit pro-arabischen Ansichten im Westen und pro-westliche Journalisten konnten sich relativ frei im Irak bewegen.
Von Neukriegen profitiere eine international agierende Industrie, während die Altkriege die Fortsetzung der Interessen nationaler Industrien waren.
[Eco-Vortrag 2002]

Auf die Frage, wer Interesse an Kriegen hat, sollte näher eingegangen werden. Womöglich könnte die Wirtschaft in Neukriegen zunehmendes Interesse am Krieg gegen die ganze Menschheit gewinnen.

Doch letztlich scheint der 'neoguerra' eher vom Terrorismus diktiert worden zu sein als von der Industrie. Aber die Gefahren des internationalen Terrorismus werden möglicherweise stark überbewertet. Auch der islamistische Terror reicht nicht an die nukleare Bedrohung heran.

Transnationaler Terrorismus ist natürlich nicht mit militärischen Mitteln, sondern "allenfalls mit nachrichtendienstlicher und polizeilicher Sorgfalt" zu bekämpfen. [Bertram 2006]
Die Militärmacht der USA unter Rumsfeld baute trotzdem eine 50000 starke Spezialarmee zur Terrorbekämpfung auf, was aber vielleicht für eine globale nachrichtendienstliche Überwachung sogar notwendig wäre.

Die Terrorbekämpfung zu einem Krieg aufzubauschen wäre aber die falsche Strategie; lokale Terrorakte würden so "zu Schlachten in einem globalen Konflikt" [Bertram 2006].


Der Ukraine-Krieg zeigt aber auch, dass präzise Waffentechnologie von zunehmender Bedeutung ist, gerade, weil sie sich gegenüber brutalem Terrorismus durchsetzen kann, auch dann, wenn der Terror von einem typischen 'paleoguerra' ausgeht, wie ihn Putin führt.


Neu im Golfkrieg (als Neukrieg) war nach Umberto Eco vor allem gewesen, dass die Verluste an Menschenleben offiziell minimiert werden sollten und zivile Opfer gänzlich tabuisiert waren.
Dass das die humanitäre Begründung für diesen Weltkrieg war, wird gerne verschwiegen, oder es werden infame andere Gründe als eigentliches Kriegsziel unterstellt.

Der Erste Golfkrieg war aber so unauffällig und kurz, dass die 'neocons' unter Bush Jr. später darauf bestanden, ihn neu aufzurollen und damit zu einem Altkrieg zu machen!

Auch in Afghanistan ist von der westlichen Koalition versucht worden, wieder einen Altkrieg zu führen - mit Hilfe territorialer Kontrolle und parteiischer Medien, gegen welche nur Al Jazeera auch die Position der gegnerischen Seite publik machte [Eco-Vortrag 2002].

Hier wurde auf einem peripheren Territorium gegen den Islamismus gekämpft, es handelte sich also auch hier eher um einen Weltkrieg als um einen Altkrieg.

Ähnlich wie der Weltkrieg ist der Neukrieg durch die Aufhebung traditioneller territorialer Bezüge gekennzeichnet; nicht nur der Informationsfluss globalisiert sich, auch die Reichweite der Waffen - auch wenn es sich nur um eine Handvoll Selbstmordattentäter wie am 11.9.2001 handelt.
Auf diese Weise gelangt der Feind ins eigene Haus und gewinnt damit einen taktischen Überraschungseffekt hinzu.


Im Altkrieg wurde peinlich darauf geachtet, dass in der Öffentlichkeit nur der Standpunkt der eigenen Kriegspartei vertreten ist (auch in Form von Propaganda). Im Neukrieg erlangen die bilateralen Informationsmedien zunehmend Einfluss, und damit auch der Standpunkt des militärischen Gegners.


Die zur Zeit des Irak-Krieges neu eingeführten IT-Strukturen sind einerseits allgemein verfügbar, erfüllen andererseits aber auch Aufgaben der früheren Geheimdienste; ihr Informationsfluss "neutralisiert jede Überraschungsaktion" und damit die Hauptwaffe früherer Kriege [Eco-Vortrag 2002].

Auch Altkriege haben nach ihrem Ende nicht immer zu einem friedvollen Gleichgewichtszustand geführt, womit wohl ein 'Siegfrieden' gemeint ist. Im Neukrieg wäre ein solcher durch diese Entschärfung der Waffen taktisch kaum mehr erreichbar.

Noch wichtiger ist mittlerweile die breite Verfügbarkeit von IT-Strukturen speziell über das Smartphone für die Aufdeckung und internationale Verfolgung von Kriegsverbrechen geworden, wie der aktuelle Ukraine-Krieg zeigt.


Nach den Anschlägen auf das World Trade Center mussten oder konnten die Medien die Öffentlichkeit Tag für Tag mit der Grausamkeit des Feindes konfrontieren. Auf diese Weise hat faschistischer Terror in seiner Variante als Terror des religiösen Fundamentalismus auch in einer multilateralen Medienwelt seit Jahrzehnten Milliarden Dollar Gratiswerbung erhalten. [Eco-Vortrag 2002]

Dasselbe geschah in der Ukraine, allerdings in einer "slow motion" - Übertragung, die nicht erst auf dem Maidan-Platz 2014 einsetzte, sondern schon bei anderen Aktionen Putins. Hätte man darin bereits Kriegsvorbereitungen erkennen und frühzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen müssen?

Nun wird der von den meisten Terroristen angestrebte Militärfaschismus wieder gesellschaftsfähig, am Ende vielleicht sogar im Westen!


Was von Umberto Eco nicht thematisiert wurde, ist der geringe militärische Einsatz, mit welchem ein Neukrieg entfesselt, und dennoch maximaler Schaden angerichtet werden kann. Dazu genügt eine kleine Gruppe Terroristen, eine Verschwörungstheorie oder Lüge. Besondere Bedeutung könnte die Manipulation eines wirtschaftsstrategischen Faktors erlangen; zur Zeit sind das Gas und Öl Russlands, davor war es Jahrzehnte lang das Kapital der USA.
Andererseits ist Geld schon immer mit kriegerischen Absichten eingesetzt worden und daher kein Kennzeichen des Neukrieges. In Zukunft könnte der Zugang zu Rohstoffen mit kriegerischen Absichten manipuliert werden.


Wenn ich diese globalen Ressourcenkonflikte und Umberto Eco nicht missinterpretiere, muss nun auch der Frieden als permanenter Neukrieg verstanden werden.
Doch leider könnten sich diese Art Frieden wahrscheinlich nur die am weitesten entwickelten und damit zumeist auch mächtigsten Gesellschaften leisten, wozu auch das Umland von Moskau und St. Petersburg gehören mag, während an der Peripherie weiterhin Altkriege geführt werden.
Doch war eine solche Situation auch schon aus dem Altertum und der 'pax romana' bekannt.

Die militärische Überlegenheit der Friedensmächte und Nutznießer des Friedens (Eco akzeptierte als solche noch die ehemalige USSR) wird natürlich das Ziel von Anfeindungen. Man könnte die Bedeutung solcher Mächte als rein militärisch und auch den Frieden selbst als eine militärische Angelegenheit ansehen anstatt als kulturelle!


Der russische Neofaschismus hat versucht, zu demonstrieren, dass der Neukrieg ein Symbol westlicher Verweichlichung ist und seine Zwecke nicht erfüllt. Darum seine gezielten Angriffe auf die Zivilbevölkerung in Syrien und die planmäßigen Flächenzerstörungen in der Ukraine!

Russland verfolgt keine humanitären Ziele. Wenn der Kreml nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges überhaupt jemals andere Ziele als den Aufbau einer globalen militärischen Bedrohung verfolgte (auch mit den Mitteln des Neukrieges), dann waren es nationalbolschewistische. Und man muss auch vom nicht-zaristischen Russland sagen, dass es seit den 1930er Jahren einen isolationistisch-nationalistischen Weltkrieg geführt hat. Der Westen hat dagegen in Allianzen aus mehreren Ländern Weltkriege geführt, die eine universelle Rechtsordnung durchzusetzen versuchten.




--> Fortsetzung des Textes --->





©  Stephan Theodor Hahn, Bad Breisig, am 10.9.2022